August 2019

Newsletter Kindergarten/Schule Top Themen Praxis

Stark von Anfang an – Kinder auf dem Weg zur Resilienz begleiten

Einige meinen noch immer, dass sie ihre Kinder mit Härte behandeln müssten. Aber Härte gegen Kinder ist keine Erziehung, sondern Dressur zu verängstigten Ja-Sagern. Andere erziehen gar nicht, was Kinder oft haltlos macht. Dann gibt es jene, die nach dem Wahlspruch handeln „Mein Kind soll eines Tages alle Möglichkeiten haben“ und von einem Förderprogramm zum nächsten hetzen. Dabei übersehen sie, dass auch das Gras nicht schneller wächst, wenn sie daran ziehen. Der Neurobiologe und Hirnforscher Gerald Hüther hat bei stark geförderten Kindern sogar ein besonderes Problem erkannt. Viele Kinder sind in den geförderten Bereichen zwar stark, weisen aber Defizite gegenüber Gleichaltrigen bei anderen Fähigkeiten auf.

Jedes Kind bringt eben seinen eigenen Bauplan mit auf diese Welt und ein ordentliches Stück Persönlichkeit dazu. Deshalb fordert der bekannte Elementarpädagoge und Schöpfer des Situationsorientierten Ansatzes Dr. Armin Krenz nun schon seit Jahrzehnten, Kinder sich im klassischen Sinne des Wortes „entwickeln“ zu lassen und sie dabei zu unterstützen.

Fast ebenso lang erforscht Gabriele Haug-Schnabel die Entwicklung und das Verhalten von Kindern. Gemeinsam mit der Erzieherin und Lehrerin für ganzheitliche Entspannungspädagogik, Barbara Schmid-Steinbrunner stellt sie fest, dass Kinder zwar keine perfekten Eltern brauchen, aber ein gesundes Fundament, auf dem sie ihre Stärken und Fähigkeiten entwickeln können. Kinder brauchen ihre Eltern als Sicherheitsbasis, auf die sie sich verlassen können. Wichtig dabei: sie müssen zugewandt, einfühlsam, wertschätzend und zuverlässig verfügbar sein.

Eltern sollten einen Lebensrahmen vorgeben, der es ihrem Kind möglich macht, sich eigeninitiativ, selbstwirksam und vielseitig kompetent zu erleben, stellen die beiden Expertinnen fest. Denn „ein Kind muss erkunden, spielen und phantasievoll gestalten, um Urheberschaft und Wirksamkeit zu erleben – von Erwachsenen vernünftig geschützt, aber möglichst wenig von ihnen direktiv eingeschränkt.“ Als ErzieherInnen sollten wir sie dabei unterstützen und in den Einrichtungen selbstverständlich die entsprechenden Voraussetzungen für die Kinder schaffen

Für Eltern und Erzieherinnen bedeutet das aber auch, dass wir Ansprechpartner, Gefühlsbeantworter, Bewertungsmaßstab, Informationsquelle, Vorbild, Konfliktmanager für die Kinder sind. Wir sollten uns aber nicht als die großen Macher verstehen, sondern mehr als Assistenten auf dem Entwicklungsweg, die das Kind individuell ermuntern und ihm dann Unterstützung bieten, wenn es sie braucht.

„Das eingehen auf kindliche Fragen und Initiativen ist echte Förderung“, so Haug-Schnabel und Schmid-Steinbrunner. Ein Kind muss selbst ausprobieren und gezielt Abfragen. Es muss selbst erleben, dass es mit seinen Handlungen und Ideen Lösungen findet und Einfluss nehmen kann. Das ist jedes Mal ein wichtiger Etappensieg auf dem Weg zur Selbstständigkeit. „Durch die zunehmende Selbstständigkeit und Wissenserweiterung entsteht ein Gefühl von Eigenkompetenz, das in immer neuen Situationen gestärkt und durch neue Erfahrungen erweitert wird.“

Wenn Sie ihr Kind so fördern, machen Sie Ihr Kind stark. Die Strategien, die Kinder zum Erfahrungserwerb oder besser „zur kindlichen Selbstbildung“ entwickeln, haben die Verhaltensbiologen genau untersucht: Erkunden, Spielen, Nachahmen, phantasievolles Gestalten und Erfinden gehören dazu. Hinzu kommt die kindertypische Begabung, Interesse, Konzentration und Ausdauer auf den Punkt zu bündeln.

Besondere Bedeutung kommen dabei der Bewegung und dem Spiel zu. Um sich zu entwickeln und selbst auszuprobieren, müssen sich Kinder möglichst viel bewegen und auch öfter mal richtig toben.

Spielen ist wichtig, weil es glücklich macht und die kindlichen Bedürfnisse befriedigt. „Ein Kind kann dabei die Welt kennenlernen – noch wichtiger: Es lernt Zusammenhänge verstehen, seine Beteiligung an den Geschehnissen rundherum und seine Möglichkeiten, gezielt Einfluss zu nehmen. Ganz früh spürt es schon seinen aktiven Part im Leben. Nicht mit ihm geschieht etwas, sondern durch es passiert etwas,“ so die Wissenschaftlerinnen. Wem das zu wenig erscheint, der sei darauf hingewiesen, dass etwa ein Universalgelehrter wie Leonardo da Vinci durch seine mangelhaften Lateinkenntnisse größtenteils von der klassischen Bildung seiner Zeit ausgeschlossen blieb. Es ihm aber gelang, durch exakte Beobachtung und Erfahrung dieses Defizit mehr als auszugleichen.

Insofern sind Eltern und ErzieherInnen als verlässliche Sicherheitsbasis und aufmunternde Entwicklungsbegleiter gefragt, die wertschätzende Zuwendung, Unterstützung, Geborgenheit und ihren Rat an den Stellen bieten, an denen er auch gefragt ist. Am wichtigsten ist dabei jedoch, dass sich ein Kind so akzeptiert fühlt wie es ist.

 

Zum Weiterlesen:

Gabriele Haug-Schnabel/Barbara Schmid-Steinbrunner

Stark von Anfang an

Kinder auf dem Weg zur Resilienz begleiten
Hardcover/250 Seiten
4 fbg. Abbildungen und Illustrationen
ISBN: 978-3-934333-45-1
20 €

 


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Warum sind im Herbst die Blätter bunt?

Fünf Fragen an den Meteorologen Matthias Habel

Im Herbst, wenn die Sonne weniger scheint, färben sich die Blätter der Bäume bunt. Ein Spaziergang im Wald macht dann besonders viel Spaß. Sattes Rot, Sonnengelb und leuchtendes Orange – die farbenfrohen Blätter der Bäume sind typisch für den Herbst. Warum das so ist, erklärt der Meteorologe Matthias Habel von WetterOnline:

Warum färben sich im Herbst die Blätter bunt?

Pflanzen haben verschiedene Farbstoffe, die in den Blättern enthalten sind. Jedoch können wir nicht immer alle sehen. Das liegt daran, dass der grüne Farbstoff, das sogenannte Chlorophyll, am kräftigsten ist und die anderen Farben überdeckt. Im Winter aber zieht der Baum den grünen Farbstoff aus den Blättern in den Stamm und die Wurzeln. Da die grüne Farbe also mehr und mehr aus den Blättern verschwindet, kommen allmählich andere Farben zum Vorschein, die in den Blättern enthalten sind: Sie werden gelb, orange und rot – unser buntes Herbstlaub entsteht.

Warum zieht der Baum im Herbst das grüne Chlorophyll aus den Blättern?

Chlorophyll gibt den Blättern nicht nur die grüne Farbe, es ist auch wichtig für das Überleben des Baumes. Denn mit Hilfe von Chlorophyll erzeugen Pflanzen aus Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid Energie. Im Winter, wenn die Sonne weniger scheint, kann der Baum aber kaum noch Energie gewinnen. Deswegen braucht er auch weniger Chlorophyll. Da der Baum das Chlorophyll aber im nächsten Frühling wieder benötigt, wenn die Sonne mehr scheint, speichert er es in der kalten Jahreszeit. Dazu zieht er das grüne Chlorophyll aus den Blättern und transportiert es in den Baumstamm und in seine Wurzeln, wo er es bis zum Frühling verwahrt.

Warum bleiben die bunten Blätter im Herbst und Winter nicht an den Ästen hängen?

Dass die Bäume im Herbst ihre Blätter verlieren, ist eine reine Überlebensmaßnahme. Denn je nach Temperatur verdunstet ein ausgewachsener Laubbaum an einem Tag bis zu 400 Liter Wasser über seine Blätter. In der kalten Jahreszeit aber können Pflanzen weniger Wasser aus dem Boden ziehen, weil dieses meist gefroren ist. Hätte der Baum also auch im Winter Blätter, würde er vertrocknen. Denn das wenige Wasser, das er hat, würde er über seine Blätter verlieren. Ohne die Blätter kann er seine Wasservorräte also besser speichern und somit sein Überleben sichern.

Wie lösen sich die Blätter vom Baum?

Um sich auf den Winter vorzubereiten und Wasser zu sparen, trennt der Baum die Blätter von den Ästen ab. Er verstopft gewissermaßen die Äste, die den Blättern als Wasserzufuhr dienen. Dadurch vertrocknen die Blätter und hängen somit nur noch lose an den Ästen. Kommt dann der erste Herbstwind, weht er die Blätter von den Bäumen.

Im Winter sind die Äste dann kahl, bis dahin kommt sicherlich einiges an Laub zusammen?

Ja, das stimmt. Eine große alte Buche wirft bis zum Winter etwa 30 Kilogramm Laub ab.

 


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Die Quelle der Gesundheit – Das salutogenetische Prinzip

© Tomsickova/Fotolia

Die Salutogeneseforschung (von: salus, lat.: gesund, Unverletztheit, Heil, Glück; genese, griech.: Entstehung = Gesundheitsentstehung) fragt nach den Quellen der Gesundheit. Sie versucht herauszufinden, wie der Mensch die Kraft gewinnen kann, mit sich selbst und seinen Lebensbedingungen, mit Umwelt und verfügbarer Zeit zu Recht zu kommen. Statt der Suche nach Störungen und Defekten wird die Analyse bzw. Erforschung der Bedingungen für Gesundheit bedeutsam. Diese Fähigkeit, sich mit Problemen sinnvoll auseinanderzusetzen, trägt zur Lebenstüchtigkeit bei.

Dem Geheimnis der Gesundheit auf der Spur

Der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky, Begründer der Salutogeneseforschung, der im Rahmen von Stressstudien Aspekte der Gesundheit untersuchte, vergleicht das Leben mit einem Strom: Keiner geht sicher am Ufer entlang, das Wasser kann verschmutzt sein, der Fluss hat Gabelungen, gefährliche Stromschnellen und Strudel. So entstehen vielfältige Stresssituationen. Um diese zu bewältigen, ist Sinnhaftigkeit ein wichtiger salutogenetischer Faktor. Nach Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie wird dadurch das Immunsystem gestärkt und Stress gemindert…

In Forschungen über den Zusammenhang von belastenden Faktoren (Stress, Extremsituationen, Traumata, seelische Grausamkeit) mit Gesundheit und Krankheit erkannte Antonovsky, dass wir uns weniger an krankmachenden Ursachen, sondern vielmehr an den Ursprüngen der Gesundheit orientieren sollten… Wie gelingt es dem Menschen, mit Kränkungen und Enttäuschungen, mit Beeinträchtigungen und Störungen so umzugehen, dass er sie überwindet, dadurch sogar gesünder wird?

Als Zeitzeuge des Zweiten Weltkrieges erlebte Antonovsky, dass viele seiner Verwandten und Bekannten unsägliches Leid und schwerste Traumatisierungen durch den Holocaust erlitten und trotzdem nahezu vollständig genesen konnten. Wesentliche Gesundheitsressource sei dabei ein Kohärenzgefühl durch das Erfahren guter Beziehungen. Dazu gehört, die eigene Lage zu verstehen, und die Überzeugung, das Leben gestalten zu können, auch der Glaube, dies habe einen Sinn. Die Überlebenden sahen ihre Situation als gegeben und aufgegeben an, man habe sich mit ihr auseinanderzusetzen – in einem auf Sinn hin orientierten Kohärenzsinn. Antonovsky geht davon aus, „dass Heterostase, Ungleichgewicht und Leid inhärente Bestandteile menschlicher Existenz sind, ebenso wie der Tod.“

Gesundsein bemesse sich an der Fähigkeit, mit heterostatischen Einflüssen umzugehen, sei Ausdruck der Überwindungsfähigkeit von Krankheitstendenzen, fremden Einflüssen, Attacken und Ähnlichem mehr.

Ein Kernaspekt des salutogenetischen Prinzips ist die Fähigkeit des Menschen mit Unerwartetem umzugehen und dabei stärker zu werden. Stress und Konflikte müsse man auszuhalten lernen und nicht in jedem Fall vermeiden. So kann der Mensch seine körperliche und seelische Belastbarkeit spüren und ausbauen. Durch einen starken Kohärenzsinn fühlt er sich mit den Lebenszusammenhängen in ihrer Komplexität verbunden (Kohärenzgefühl),

  • versteht, was in der Welt geschieht (Verstehbarkeit),
  • ist in der Lage das Verstandene umzusetzen und zu gestalten (Gestaltbarkeit),
  • gestaltet, was ihm sinnvoll erscheint (Sinnhaftigkeit).

Auf der Grundlage dieser salutogenetischen Prinzipien kann, auch nach Erkenntnissen der Hirnforschung, jeder sein „Wachstums- und Entwicklungspotential zur Entfaltung bringen.“ (G. Hüther, Raus aus der Demenzfalle, 2017, S. 49)

Der Sozialwissenschaftler Oskar Negt erwähnt in seiner autobiografischen Spurensuche, wie er „Überlebensglück“ aus dem Erlebten gewinnt (O. Negt, Überlebensglück, 2016). Er will wissen, warum aus „schmerzhaften Erfahrungen und schrecklichen Erlebnissen“ nicht zwangsläufig Beschädigungen der Person erfolgen, die einen Opferstatus lebenslang festschreiben, sondern wie es gelingen kann, eine zuversichtliche Lebenseinstellung zu erlangen und sich als autonomes Subjekt zu empfinden. Dabei greift er immer wieder auf Antonovskys Gesundheitsmodell zurück und plädiert gegen die „Entwertung des Lebens“ und soziale Kälte und für ein zuverlässiges Verbinden mit Schwachen, Ohnmächtigen und Verfolgten. Je stärker der Mensch diese Verbundenheit erlebe, desto klarer werde auch sein Gefühl der Sinnhaftigkeit.

Gesundsein durch das Gefühl für den Sinnzusammenhang

Eine entscheidende Bedingung für Gesundsein ist also der Kohärenzsinn: Der Mensch kann die Welt verstehen, sie als sinnvoll wahrnehmen und in ihr handeln – gerade auch in schwierigen Situationen, bei denen es nicht sofort Lösungen gibt. Er ist Gestalter der Verhältnisse, nicht Opfer und verwirklicht sich selbst, was schon Pestalozzi in seinen „Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts“ feststellte: Er kann sich zum „Werk seiner selbst“ machen.

Gesundheit als dynamisches Geschehen

Im salutogenetischen Modell bedeutet Gesundheit mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Das dynamische, vernetzte Geschehen beinhaltet

  • körperliches Wohlbefinden,
  • eine positive Grundhaltung zur Welt,
  • Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und
  • Sinnfindung im Handeln.

Gesundheit ist mehrdimensional, von sozialen und ökologischen Faktoren sowie eigenen Widerstandsressourcen bestimmt. Der Mensch hat die Fähigkeit, sich mit unerwarteten Ereignissen auseinanderzusetzen und stärker zu werden durch Stress, Belastungen und Konflikte: diese „Heterostase“-Prozesse erweitern die körperlich-seelischen Belastungsgrenzen.

Statt Erklärungen gibt es ein offenes Modell der Ermöglichung: Erzieher, Kind und Eltern können miteinander lernen, ein gutes Gefühl der Verbundenheit und eine positive Grundhaltung gegenüber der Welt ausbilden. Ursachen werden gemeinsam erkannt, verstanden und gedeutet und – soweit möglich – auch erklärt: So entsteht das Kohärenzgefühl, dessen Komponenten – Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit der Welt – nur theoretisch unterschieden, in der Praxis aber unlösbar miteinander verbunden sind.

Das Kind – ein guter Schwimmer?

Antonovsky fragt: „Wie wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt wird, ein guter Schwimmer?“

Nach dieser Metapher kann ein gefährlicher Flusslauf entschärft, aber auch das Kind zu einem guten Schwimmer gemacht werden. Durch Erziehung ist es so zu unterstützen, dass es die Welt als verstehbar, sinnhaft (bedeutsam) und handhabbar erlebt: Wenn ich mich nur genügend anstrenge oder mich ernsthaft interessiere, kann ich verstehen, was mir begegnet. Die Welt als geordnet und strukturiert wahrzunehmen und nicht als chaotisch, willkürlich, zufällig oder unerklärlich, ist entscheidend für das Sich-gesund-Fühlen. Wer über ein hohes Maß an Verstehbarkeit verfügt, für den werden Schwierigkeiten entweder vorhersehbar, oder sie sind, sollten sie tatsächlich überraschend auftreten, einzuordnen und zu erklären.

Das Gefühl von Sinnhaftigkeit oder Bedeutsamkeit beschreibt, in welchem Ausmaß man seinem Leben Sinn geben kann. Sind es die Probleme und Anforderungen wert, Energie in sie zu investieren? Dass man sich für sie einsetzt? Dass sie eher willkommene Herausforderungen sind als Lasten, die man gern los wäre?

Geschieht etwas Tragisches, zum Beispiel ein Unfall, der Tod eines Nahestehenden, die Notwendigkeit einer schweren Operation oder der Verlust des Arbeitsplatzes, wird man nicht nur Angst, Trauer oder Wut empfinden, sondern sich auch fragen: Was bedeutet das Ereignis für mich, für meine Entwicklung? Wie kann ich meinem Leben dadurch einen neuen Sinn geben? Unglückliche Erfahrungen können als persönliche Herausforderung empfunden werden.

Das Gefühl der Handhabbarkeit macht bewusst, was man kann und was nicht. Dem Nichtkönnen gegenüber steht die Aussage: ‚Ich könnte, wenn ich wollte.’ Man erlebt die Welt und sich selbst als handhabbar, als ‚manageable’. Dazu gehört die Überzeugung, dass Schwierigkeiten zu überwinden und geeignete Ressourcen aufzubauen sind, um den Anforderungen zu begegnen. Verfügbar sind dabei eigene Erfahrungen oder solche, die von anderen eingebracht werden – vom Ehepartner, von Freunden, vom Arzt, von Gott.

Das Kohärenzgefühl – als Erlebnis von Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit der Welt – entwickelt sich besonders in der Kindheit. (Opp 2018, S. 9) Daher kommt dieser Zeit auch entscheidende Bedeutung für die Gesundheit im späteren Leben zu.

Der therapeutische Erzieher wird für das Kind die Umgebung so gestalten, dass sie dessen Bedürfnis nach einem strukturierten Lebensraum entspricht mit Kontinuität, Rhythmus und Wiederholung. Das schafft Freude und Dankbarkeit, Erzieher und Kind fühlen sich wohl. Wohlbefinden bewegt zu geordnetem, schöpferischem Tun, gibt dem Kind Sicherheit und stärkt seine Fähigkeit zur „Selbstregulation“.

Im zwischenmenschlichen Beziehungsraum wirkt die haltgebende Kraft des erzieherischen Vertrauens. Diesen „Inneren Halt“ (Moor) können wir im autonomen – spontan-tätigen und rezeptiv-empfangenden – Leben und Lernen des Kindes beobachten (diagnostizieren) und verstehen lernen. Die ordnende und aufbauende Kraft gegenseitigen Vertrauens wirkt in heterostatischen Prozessen heilend und führt zur Frage nach reflexiver Professionalität, Selbstbildung und Selbsterziehung von Arzt und Erzieher.

Aspekte der Resilienzforschung

Im Zusammenhang mit der Salutogenese steht die Resilienz (engl. resilience = Spannkraft, Elastizität, Widerstandsfähigkeit). Sie bezeichnet eine stabile Entwicklung der Persönlichkeit trotz ungünstiger Erfahrungen und Belastungen.

Resilienzforschung bestätigt die pädagogische Erfahrung, dass enger, vertrauensvoller Kontakt und verlässliche Beziehungen entscheidend sind für eine autonome, selbstregulierende Entwicklung in Auseinandersetzung mit der Lebenswelt. Der Erzieher ermöglicht und vermittelt Sinn, Halt und Schutz, aber auch den „Glauben und die Hoffnung, dass sich die Dinge letztlich zum Guten wenden“. Solche Orientierungsbegriffe einer sinnvollen erzieherischen Begleitung sind nicht ohne optimistische Grundhaltung des Erziehers denkbar. 

Beispiel

Maria, 18 Jahre alt, steht kurz vor dem Abitur und möchte später im naturwissenschaftlichen Bereich forschen. Sie besucht Freunde in M., erleidet dort einen schweren Brechdurchfall, der zu Herzstillstand und damit zum klinischen Tod führt. Nach etwa zehn Minuten konnten ärztliche Wiederbelebungsversuche ihr Leben retten. In wenigen Minuten war aus der klugen und strebsamen jungen Frau ein Pflegefall geworden: Sie leidet unter einer diffusen Hirnschädigung. Ausgeprägte Funktionsstörungen führten zur Beeinträchtigung von Wahrnehmung und Bewegung, des Lesens, Schreibens und ganz besonders von Rechnen, Planen und Ausführen von Handlungsfolgen. Sie hatte keine Vorstellungen von Mengen, Reihungen und Zuordnungen, konnte sich kaum konzentrieren; Antrieb, Motivation und Kritikfähigkeit waren nur spurenhaft vorhanden. Die Behandlung in psychiatrischen Einrichtungen und rehabilitative Maßnahmen haben lediglich geringen Erfolg, nach etwa einem Jahr werden sie eingestellt, Maria kommt „austherapiert“ nach Hause. Den Eltern wird empfohlen, sie in die Werkstufe der Lebenshilfe-Schule für Geistigbehinderte zu geben, damit sie dort lebenspraktische Fähigkeiten lerne.

Auf der Basis guter Beziehungen und in einer gelösten Atmosphäre beginnen wir im Einzelunterricht mit einem flexiblen heilpädagogischen Programm: Übungen mit Montessori-Materialien, rhythmisch-musikalische Übungen nach Mimi Scheiblauer, basale Wahrnehmungs- und Bewegungsübungen, lebensbezogene und sprachbegleitende rhythmische fein- und großmotorische Übungen, die auch die Mutter zuhause sorgfältig weiterführt.

Maria lernt mit Händen und Sinnen die Welt (wieder) zu entdecken, entwickelt – zunächst auch bei intensiver körpernaher und sprachbegleitender Führungshilfe – bald positive Lebensbewältigungsstrategien. Ihre praktische Problemlösungsfähigkeit nimmt erstaunlich zu: Wir gehen zusammen zur Tür und sprechen dazu, wir sehen die Tür, das Schlüsselloch, stecken den Schlüssel herein, drehen den Schlüssel um. Maria ahmt das Vorbild nach und versucht die Übungen alleine, dann auch variiert. Wir begleiten ihre ersten selbstständigen Handlungen und Handlungsfolgen, die noch recht unkoordiniert erfolgen, sprachlich unterstützend. Erste gelingende Handlungen wecken Potenziale und Ressourcen. Maria erprobt ihr Können an Widerständen, Handlungsmuster lernt sie auf neue Situationen zu übertragen. Mit ungeahnter Willenskraft bindet sie sich in die überschaubare Lebenswelt ein. Ihre Autonomie nimmt zu, sie fängt an, sich an alte Denkmuster und sprachliche Ausdrucksweisen zu erinnern und kommt nach etwa drei Monaten Schulbesuch ohne Hilfe mit dem Zug in unsere etwa 15 Kilometer entfernte Einrichtung.

Nach gut einem halben Jahr wird sie aus der Schule entlassen, weitere sechs Monate später schreibt sie ihrem Erzieher einen relativ gut leserlichen Brief: „Ich kann gar nicht richtig ausdrücken, wie sehr ich mich freue, Ihnen schreiben zu können!! Nur wie ich beginnen soll, weiß ich nicht so recht. Es gibt so viel zu schreiben, viele Probleme von ‚damals’ sind heute fast schon unglaublich für mich, etliche Dinge sind zur Normalität und zur Selbstverständlichkeit geworden, von denen ich einmal dachte, dass ich sie nie mehr erlernen könnte! Aufgrund der Wahrnehmungsstörungen, die ich noch habe, bin ich schon eingeschränkt: Ich brauche mehr Zeit mich zurechtzufinden in neuen Situationen und fremder Umgebung als andere Menschen, und ob sich da noch viel bessern wird bei mir ist fraglich! Durch Zufall habe ich Herrn N. kennengelernt, der nun schon längere Zeit regelmäßig zu mir nach Hause kommt und ‚Rechnen’ mit mir übt. Eigentlich ist es viel mehr als nur Rechenunterricht, denn er hat mir wieder ein Verständnis für Mengen, Maße, Längen und deren Zuordnung untereinander nahegebracht! Ich bin sehr froh, dass Herr N. die Geduld hat mit mir zu lernen, und ich merke, dass ich dadurch auch in anderen Bereichen mehr Sicherheit bekomme. Das Schriftbild lässt ja leider noch zu wünschen übrig, aber ich hoffe, dass Sie den Brief doch noch lesen können und dass ich Ihnen noch öfter schreiben darf.“

Maria beendete eine Ausbildung zur medizinischen Bademeisterin und Masseurin erfolgreich, wurde zunächst als Praktikantin und später in einem Bezirkskrankenhaus fest angestellt.

Fragen wir nach dem Grund des heilpädagogischen Erfolges, waren es die haltgebenden Übungs- und Lerninhalte, die nach und nach systematisch den (Wieder)Aufbau der bio-psycho-sozialen Strukturen ermöglichten. Entscheidend aber für „Inneren Halt“ dürfte die Beziehung zwischen Maria und ihrem Erzieher gewesen sein, durch die ein situationsorientiertes methodisches Vorgehen möglich wurde. Der Erzieher regte in einer Atmosphäre des Vertrauens autonomes, sich selbst regulierendes Lernen an, indem er eine für die Entwicklung günstige Umgebung schuf und Gegenstände so vorbereitete, dass sie – allen Widerständen zum Trotz – zu verinnerlichen waren. Erzieher und Lernende bildeten in der Erziehungssituation eine Ganzheit im Dialog, Maria konnte ihre Kräfte an Widerständen erproben, in alte Bindungs- und Handlungsmuster (wieder) hineinwachsen und sich so weiterentwickeln.

Zahlreiche Studien zur Lebensqualität von Kindern zeigen, dass diese trotz mancher Risikofaktoren (Alkoholismus in der Familie, Armut, Gewalt, Vernachlässigung, schlechte Ernährung, unhygienische Verhältnisse) eine Widerstandkraft entwickelten, die allen Gefährdungen trotzte. Dabei erwies sich der Faktor „Qualität der menschlichen Beziehung“ als ausschlaggebend, der in seiner salutogenetischen Bedeutung stärker sein kann als Vererbung und Milieu. Erlebt ein Kind eine vertrauenswürdige Beziehung, auch nur zu einem einzigen Menschen, die sich durch

  • Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit,
  • wohlwollende Zuwendung und
  • Respekt vor der eigenen Würde,

auszeichnet, kann es sich nach seiner Sinnperspektive seelisch-geistig gesund entwickeln.

Literaturhinweise:

Antonovsky, A. (1997): Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen

Hüther, G. (2017): Raus aus der Demenz-Falle. Wie es gelingen kann, die Selbstheilungskräfte des Gehirns rechtzeitig zu aktivieren. München

Klein, F. (2018a): Inklusive Erziehung in Krippe, Kita und Grundschule. Heilpädagogische Grundlagen und praktische Tipps im Geiste Janusz Korczaks. München

Negt, O. (2016): Überlebensglück. Eine autobiografische Spurensuche. Göttingen

Opp. G. (2018): Wenn Kinderseelen leiden …, In: SPUREN – Sonderpädagogik in Bayern, 61. Jg., S. 7-15

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Therapeutische Erziehung
Resiliente Erziehung in Familie, Krippe, Kita und Grundschule
Neuhäuser, Gerhard, Klein, Ferdinand
Oberstebrink
192 Seiten, 25,00 €
ISBN: 9783963046056
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de




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Über CO2 und Mülltrennung

Wieso? Weshalb? Warum? Wir schützen unsere Umwelt

Umweltverträgliches Leben und ein nachhaltiger Umgang mit unseren Ressourcen gehören zu den bedeutendsten Langzeitzielen der Menschheit. Da ist es wichtig, auch schon die Jüngsten zu informieren und zu motivieren wichtige Regeln zu verinnerlichen, etwa zur Mülltrennung oder zum sparsamen Umgang mit Wasser und Strom. Die Reihe “Wieso? Weshalb? Warum?” von Ravensburger liefert in vielen verschiedenen Bänden Informationen zu jeweils einem Sachthema für Kinder in unterschiedlichen Altersstufen. “Wir schützen unsere Umwelt” richtet sich auch in der Hörbuchversion an Hörer von vier bis sieben Jahren. Das Hörerlebnis besteht aus vielen kurzen Dialogen zwischen den Kindern Mia und Jan und der Erwachsenen Sonja. Dazwischen ist jeweils ein kurzes kindgerechtes Musikstück zu hören. Angesprochen wird eine sehr große Zahl an Themen rund um Umwelt und Umweltschutz, darunter: wie Bäume CO2 in Sauerstoff umwandeln, wie wichtig Wald und Wiesen als Lebensräume sind, wieso wir lieber im Hofladen als im Supermarkt einkaufen sollten, wie unser Fleischkonsum die Umwelt belastet, woher der Strom kommt, welche erneuerbaren Energiequellen es gibt, der Treibhauseffekt, Mülltrennung und Recycling.

Texte und Lieder sind fröhlich und kurz gehalten und vermitteln Kindern ein sehr wichtiges Thema. Die Inhalte sind dabei ganz schön vielfältig und komplex und können aufgrund der zeitlichen Einschränkung oft nur angerissen werden. Daher empfiehlt sich, die CD gemeinsam mit den Kindern zu hören und als Gesprächsanlass zu nutzen. Ein Hörbuch mit deutlichem pädagogischem Anspruch, für alle, denen unsere Umwelt am Herzen liegt.

(Tobias Schudok)

Bibliographie:

Wir schützen unsere Umwelt
Text: Carola von Kessel
Hörspielbearbeitung: Inga Reuters
Titellied: Ulrich Maske
Jumbo
Gesamtspielzeit: ca. 68 Minuten
4-7 Jahre
13,- €
ISBN 978-3-8337-3851-7
Basierend auf dem gleichnamigen Buch, erschienen bei Ravensburger
14,99 €
ISBN 978-3-473-32685-3

Quelle: Rezension auf literaturgarage.de

 

 

 


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Polsterhocker im Quadrat – zum Sitzen, Stapeln, Bauen und Toben

Die farbenfrohen Polsterhocker in Quadratform gibt es in fünf unterschiedlichen Farben. Sie sind leicht und handlich und lassen sich so einfach transportieren. Die Hocker eignen sich für individuelle Sitzlösungen, lockern feste Raumsituationen auf und eignen sich für unterschiedliche Gruppensituationen. Durch ihre Form können sie aufeinander gestapelt und so etwa auch zum Bauen verwendet werden. Die Polsterhocker gibt es in drei unterschiedlichen Größen: für Krippe, Kindergarten und Schule.

Material: Bezug aus Kunstleder (60% Polyurethan, 26% Polyester, 14% Baumwolle), phthalatfrei, schwer entflammbar, feucht abwischbar, Kern aus Polyurethan-Schaumstoff, abziehbar, mit Reißverschluss.
Maße: 21 x 30 x 30 cm.
UVP ab 55 €


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Machen Sie doch mal den Kinderturn-Test

Testaufgaben zu vier Fähigkeiten

Mit dem Kinderturn-Test lässt sich auf einfachem Weg die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern beurteilen. Der Test eignet sich für Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren. Die Testaufgaben erfassen die Fähigkeiten Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit und Koordination. Sie geben Auskunft über die motorischen Stärken und Schwächen von Kindern. Der Test kann als Baustein im Rahmen von Projekten zur Bewegungsförderung genutzt werden.

Entsprechend der Ergebnisse werden Handlungsempfehlungen für Eltern, Übungsleiter/innen, Erzieher/innen und Lehrer/innen abgeleitet und zur Verfügung gestellt, sodass die Kinder individuell gefördert werden können. Gleichzeitig haben die Testergebnisse eine Rückmeldefunktion für die Übungsleiter/in bzw. Erzieher/in und können helfen, motorische Entwicklungsverläufe aufzuzeigen.

Entwickelt vom Forschungszentrum für den Schulsport

Das Forschungszentrum für den Schulsport und den Sport von Kindern und Jugendlichen (Foss) unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus Bös und Susanne Bappert hat den Test entwickelt. Er ist Teil der Kampagne „Kinderturnen - die Zukunftschance für eine nachhaltige Bewegungsförderung in Deutschland“ mit dem Deutschen Turnerbund (DTB). Der Test wird in Vereinen des DTB, Kindergärten und Schulen durchgeführt.

Zur Durchführung des Kinderturn-Tests können bei der BARMER die Kinderturn-Test Materialien kostenlos angefordert werden.

Folgende Materialien stehen zur Verfügung:

Leitfaden, Urkunden, Ergebnisbogen und Ankündigungsplakat.

Den Anforderungsgutschein finden Sie hier.


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Lernen über die Sinne

Bewegung als Grundlage

Wir lernen über unsere Sinne. Sie ermöglichen es, die für alle Erfahrungen nötigen Eindrücke von Umwelt und eigenem Körper wahrzunehmen und zu verarbeiten. Schon im Mutterleib reagiert der Fötus auf Außenreize, vor allem durch den taktilen Hautreiz und durch das vestibuläre System, das über Lage und Druckverhältnisse Auskunft gibt. Diesen Sinnesempfindungen in der ersten Lebensphase wird eine entscheidende Bedeutung, nicht nur für den sensorischen, sondern auch für den kognitiven und sozial-emotionalen Bereich, zugeschrieben.

Bewegung ist Erfahrung - Geleitet von Wahrnehmungen

Um die Sinnesreize aufzunehmen und ohne Störungen zu speichern, sind motorische Aktivitäten unersetzliche Bedingung. Ein Kind ist von Anfang an bewegungsfreudig. Es untersucht ganzheitlich, mit all seinen Sinnen und körperlichen Möglichkeiten die Umwelt, differenziert sie und erschließt sie sich im Laufe seiner Entwicklung. Kindliche Bewegungen sind am Anfang ungenau und unkoordiniert. Sie werden erst im Zuge der Entwicklung und durch ständiges Üben sparsam und genau, also ökonomisch und präzise.

Im Vorschulbereich lässt sich die Bedeutung für die Entwicklung an vier Faktoren deutlich machen:

  1. aus biologischer Sicht, also für den Muskel- und Skelettapparat, liegen im Alter von 3 bis 6 Jahren wichtige Wachstums- und Entwicklungsabschnitte, die durch Bewegungsschulung entscheidend beeinflusst werden können.
  2. auf psychologischer Ebene sind die Wechselwirkungen des Körperlich-Motorischen mit dem Geistig-Seelischen sicherlich unzweifelhaft. Bewegungsgeschickte Kinder können sich besser in ihrer Umwelt zurechtfinden, was sich wiederum positiv auf das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein auswirkt.
  3. die kognitive oder intellektuell geistige Entwicklung wird entscheidend über frühere Bewegungserfahrungen gesteuert. Nur in der motorischen Auseinandersetzung mit der Umwelt können sich geistige, also Denkentwicklungen vollziehen.
  4. auch die soziale Entwicklung ist nicht unabhängig von der motorischen. Motorisch ungeschickte Kinder haben in der Kinder- und Erwachsenenwelt mehr Schwierigkeiten, sie stoßen eher auf Ablehnung und dies wiederum wirkt sich negativ auf die motorische Entwicklung aus, da das Kind wichtige neue Bewegungsanregungen, zum Beispiel durch das Gruppenspiel und die aktive Auseinandersetzung mit seiner Umwelt nur schwerlich und unzureichend erfährt.

Selbstwert durch Bewegung

Wir brauchen also grundsätzlich Wahrnehmungsfähigkeiten und koordinative Leistungen für das Erlernen von Bewegungen. Für beide Teile sind Wachstum und Reifung wesentlich, jedoch ebenso wichtig ist das Einüben und beständige Wiederholen und Ausprobieren dieser Fähigkeiten. Das Vorschulalter nimmt hier als frühes Lernalter eine wichtige Stellung ein, damit solche Bewegungserfahrungen gemacht werden können.

Vorschule als Erfahrungsfeld

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“

Gelingt es in dieser frühen Phase vielfältige Anreize zu geben und so eine ganzheitliche, sinnvolle und sinnenvolle Basis zu schaffen, ist dies eine gute Voraussetzung für jedes Kind, sich den zukünftigen Aufgaben und Anforderungen, nicht nur für das Bewegungslernen, gewachsen zu fühlen.

Dies gilt zunächst für den Schritt ins Schulleben. Die ungewohnt vielen kognitiven Leistungen, die Konzentration und Kooperation sind deutlich leichter zu bewältigen, wenn man sich in seinem und mit seinem Körper wohl fühlt und Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und das Können oder die Bereitschaft hat, gerne diese vielen neuen Herausforderungen zu meistern.

Die Sinne

Welche Reize führen eigentlich zu den Reaktionen des Körpers?

Welche Wahrnehmungsfähigkeiten werden nun für die Bewegungserfahrungen eingesetzt?

Es lassen sich hierfür fünf Analysatoren unterscheiden.

  1. Der visuelle Analysator oder der Gesichtssinn.

Damit wird alles registriert, was wir mit unseren Augen erfassen können. Dadurch wird das zentrale, räumliche, farbliche und periphere Sehen ermöglicht. Durch so genannte Fotoreize werden zum Beispiel Bewegungen und Konturen fixiert.

  1. Der akustische Analysator oder Gehörsinn

Er registriert Schallwellen und Frequenzen. Dadurch werden Töne und Geräusche für uns unterscheidbar und wahrnehmbar.

  1. Der taktile Analysator oder Tastsinn

Er vermittelt uns Informationen darüber, wie sich etwas anfühlt, aber auch über Oberflächenbeschaffenheiten, Temperatur, Schmerz, Druck und Berührungen aller Art. Systeme dieser gerade beschriebenen Wahrnehmungen sind die Exterozeptoren (äußere Reizaufnehmer) im Gegensatz zu den Intro- oder Propriozeptoren (innere Reizaufnehmer), welche die körperinneren Wahrnehmungen aufzeigen. Hierzu gehören:

  1. Der vestibuläre Analysator oder Gleichgewichtssinn

Damit wird die Lageveränderung des Körpers im Raum ausgeglichen, so dass es möglich ist, auch in sehr schwierigen Positionen (etwa auf einem Bein stehend) und Situationen (etwa in einer fahrenden Bahn stehend) eine aufrechte Position einzuhalten.

  1. Der kinästhetische Analysator oder Muskel- und Bewegungssinn

Er registriert Muskelveränderungen und gibt uns dadurch das Gefühl von Spannung und Entspannung. Er vermittelt uns Ausdehnungen und Positionen unseres Körpers im Raum, die für motorische Aktivitäten und für das Bewegungsempfinden notwendig sind.

Einzelne Fähigkeiten führen zu einem harmonischen Ganzen

Die Wahrnehmungsfähigkeiten sind Voraussetzung und Bedingungsfaktoren für die koordinativen Fähigkeiten.

Koordination lässt sich mit „Zusammenordnen“ übersetzen. Gemeint ist damit das Zusammenspielen und Anpassen von Muskeltätigkeiten, die durch das zentrale Nervensystem gesteuert werden.

Koordinative Fähigkeiten sind ein Sammelbegriff für verschiedene Einzelfähigkeiten. Sie sind ein „theoretisches Konstrukt“ in dem Versuch die einzelnen Leistungen dieses komplexen Gefüges zu systematisieren. In der älteren Fachliteratur findet man hierfür häufig die Begriffe Gewandtheit oder Geschicklichkeit. Beide reichen aber nicht aus, um die vielfältigen Vorgänge der Koordination zu beschreiben. Die koordinative Fähigkeiten sind an allen motorischen Aktionen beteiligt und werden deshalb „leistungsbestimmende Faktoren“ genannt. Je präziser das System der Koordination arbeitet, desto besser gelingen die unterschiedlichen Bewegungen. Daher lassen sich koordinative Fähigkeiten definieren als das harmonische und möglichst ökonomische Zusammenwirken von Muskeln, Nerven und Sinnen zu zielgenauen, gleichgewichtssicheren Bewegungsaktionen und schnellen, situationsangepassten Reaktionen.

Die Voraussetzungen hierfür sind

  • das rechte Kraftmaß, das den Bewegungsumfang und die Bewegungsgeschwindigkeit bestimmt
  • die richtige Muskelwahl, die die Bewegungsführung und -richtung beeinflusst
  • die Fähigkeit zu schnellem Wechsel von Muskelspannung und -entspannung als Voraussetzung für die motorische Anpassung. (vgl. Kiphard 1983).

Bessere Fähigkeiten, bessere Lösungen

Die koordinativen Fähigkeiten werden als sensomotorische Prozesse verstanden (das heißt auf Sinnen und Bewegungen basierend), die jedoch eng an geistige und psychische Faktoren gebunden sind. Hierzu gehören differenzierte Wahrnehmungsleistungen, Konzentration, Aufmerksamkeit und Entscheidungsvermögen (Bewegungsvorausnahme) sowie Willenseigenschaften und die Motivation.

Die Fähigkeiten zur optimalen Steuerung und Regelung von Haltungen und Bewegungen ermöglichen also die schnelle, genaue und zweckmäßige Lösung motorischer Aufgaben und begrenzen diese gleichzeitig auch. Mangelnde koordinative Fähigkeiten beeinflussen Tempo, Qualität und Dauerhaftigkeit motorischer Bewegungen. Sie sehen dann ungezielt, langsam und wenig schön aus und das Erlernen neuer Bewegungen ist eingeschränkt.

Wesentlich ist insgesamt die genaue Abgestimmtheit der Bewegung, die auch als „Bewegungsgefühl“ bezeichnet werden kann. Erst wenn das „Gefühl bis in die Fingerspitzen“ erfahren ist, werden die Bewegungen diese Harmonie ausstrahlen und sie tragen dann zur Entwicklung aller motorischen und geistigen Fähigkeiten bei.

In der Fachliteratur gibt es eine Menge unterschiedlicher Definitionsversuche der so vielschichtigen oder komplexen Fähigkeiten. Hierbei ist die Anzahl der Einzelfähigkeiten nicht einheitlich angegeben. Als gebräuchlich und allgemein anerkannt lassen sich fünf grundlegende koordinative Fähigkeiten unterscheiden. Es sind die

Gleichgewichtsfähigkeit: das Einhalten oder Wiederherstellen des Gleichgewichts während oder nach Bewegungshandlungen. Dies spielt eine führende Rolle, ohne Gleichgewicht keine Bewegung (Gehen, Laufen oder Stehen). Reaktionsfähigkeit: das zweckmäßige, situationsangemessene Bewegungshandeln auf ein Signal hin (wobei das Signal erwartet oder unbekannt sein kann).

Reaktionsfähigkeit: das zweckmäßige, situationsangemessene Bewegungshandeln auf ein Signal hin (wobei das Signal erwartet oder unbekannt sein kann).

Rhythmusfähigkeit: das Erkennen und Umsetzen der Wechsel in der Dynamik einer Bewegung; sowohl visuell als auch vor allem akustisch sollen die Bewegungsrhythmen erfasst werden. Räumliche, zeitliche und Kraft-Parameter von Bewegungsabläufen, wie: hoch – tief, lang – kurz, Spannung – Entspannung, schnell – langsam.

Räumliche Orientierungsfähigkeit: die Wahrnehmung der eigenen Körperposition in Relation zur Erdoberfläche, das richtige Einschätzen der Bewegung im Verhältnis zu Raum, Zeit und gegebenenfalls auch zum Gerät oder zu anderen Personen

Kinästhetische Differenzierungsfähigkeit: das erreichen von Genauigkeit und Ökonomie der Bewegungen, die Feinabstimmung von Einzelbewegungen etwa des Kopfes, der Hand oder des Fußes, die Einschätzung von Körperhaltungen sowie die Muskelspannungsempfindung.

Erst einzeln, dann zusammen

Wichtig ist, dass diese koordinativen Fähigkeiten nicht unabhängig voneinander zu betrachten sind, sondern immer in vielfältiger Weise untereinander in Beziehung stehen.

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Gefühl bis in die Fingerspitzen
Körpererfahrung in Kindergruppen
Falkenberg-Gurges, Gabriela
Burckhardthaus
3 bis 6 Jahre
96 Seiten, 9,90 €
ISBN: 9783944548104
Mehr auf www.oberstebrink.de




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Ideen für die Freie Arbeit – Teil 6: Das habe ich draußen gefunden

Bewegung in der Natur ist gesund

Je nach Jahreszeit können die Kinder draußen Schätze sammeln. Das können Grashalme sein, Kastanien, Steine, Baumrinde und viele weitere Dinge, die im Garten, im Wald und auf der Wiese zu finden sind. Natürlich können sie dabei Urlaubsmitbringsel einarbeiten, wie Muscheln oder Tannenzapfen.

Es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten der Präsentation. So könnten die Kinder die Fundstücke zum Beispiel in einer Schale anordnen oder in einem Schuhkarton, oder sie arrangieren sie auf einem Holzbrett.

Ein mit Blumensteckmasse gefüllter Schuhkartondeckel eignet sich besonders gut, um die Objekte darin mit Draht zu befestigen.

Die Arbeit mit Klebstoffen ist in diesem Fall nicht ratsam. Die Kinder müssten hier Klebstoffe verwenden, die starke Lösungsmittel enthalten oder eine Heißklebepistole. Beides ist für Kinderhände nicht geeignet.

Tipp:

Mit etwas älteren Kindern können Sie kleine Gedichte zu den Kunstwerken erfinden. So bekommen die Arbeiten noch eine ganz andere Würdigung.

Material:

  • z.B. Grashalme, Blätter,
  • Steine, Zweige,
  • Kastanien, Nüsse, Früchte,
  • Baumrinde,
  • Tannenzapfen,
  • eventuell Schuhkarton,
  • Blumensteckmasse,
  • Draht

 

Dieser Basteltipp stammt aus dem Buch:

Kleckern, klecksen, kleben
Manon Sander
Burckhardthaus-Laetare
176 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-944548-19-7
7,95 Euro

Mehr dazu unter


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Bewegung und Rhythmus – die Spielekartei

Ideen für eine gute Körperwahrnehmung

Bewegung ist ein Grundbedürfnis jedes Kindes

Die Spielekartei Bewegung und Rhytmus

Bewegung ist ein Grundbedürfnis. Doch in der heutigen Zeit werden wir dem nur noch selten gerecht. Laut der aktuellen KIGGS-Studie zur gesundheitlichen Lage der Kinder und Jugendlichen in Deutschland des Robert Koch Instituts sind weniger als ein Drittel der Jungen (29,4 Prozent) und Mädchen (22,4 Prozent) zwischen drei und 17 Jahren wenigstens eine Stunde am Tag körperlich aktiv. So viel Sport am Tag empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation Heranwachsenden.

Die Spielekarteien der Gesellschaft für ganzheitliches Lernen e.V. sollen dazu beitragen, dass Kinder in Bewegung kommen. Hier finden sich 50 bewährte Spiele aus dem langjährigen Erfahrungsschatz von Dr. Charmaine Liebertz. Sie fördern Kinder in ihrer Entwicklung auf vielfältige, kreative Weise und sind unmittelbar in der Praxis einzusetzen.

Praktische Karteikarten, klare Spielbeschreibungen, übersichtliche Darstellung (Spielart, Alter, Teilnehmerzahl, Zeit, Material) und zusätzlich zu jedem Spiel die Kompetenzbereiche – alles auf einen Blick!

Dr. Charmaine Liebertz ist Heilpädagogin und Lehrerin. Sie war zehn Jahre lang wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Heilpädagogik an der Universität Köln. Lernen muss für sie im Einklang von Körper, Herz, Geist und Humor geschehen. Dafür setzt sie sich in der Gesellschaft für ganzheitliches Lernen e.V. ein, die sie 1996 gründete und die seit 2009 als zertifiziertes Fortbildungsinstitut anerkannt ist.

Die Spielekartei Bewegung und Rhytmus
Charmaine Liebertz
Burckhardthaus
ISBN: 9783944548234
14,95 €
Mehr unter: www.burckhardthaus-laetare.de

Hier finden Sie zwei Spiele aus der Kartei zum kostenlosen Download.

Download-Spielekartei-Bewegung.pdf (196,3 KiB)

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Warum und worüber lachen Kinder?

Die Pädagogik des Lachens

Obwohl Kinder viel und gerne lachen, ist die Frage, worüber sie lachen noch spärlich erforscht. Bislang haben sich zwei Forschungsansätze herauskristallisiert: Während der sozialpsychologische Ansatz untersucht, welche Bedeutung der Humor für die soziale und emotionale Entwicklung des Kindes hat, arbeitet der kognitionspsychologische Ansatz auf der Grundlage der geistigen Entwicklung des Kindes.

Die Frage, ob Kinder bereits Humor haben, verneinte der Psychoanalytiker Sigmund Freud. Er ging aus von einer „Stimmung der Kindheit, in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen.“ (Freud 1905, S. 193) Als Erste widmete sich die Freud-Schülerin und amerikanische Kindertherapeutin Martha Wolfenstein in ihrem 1954 erschienenen Buch Children´s Humour mit der Entwicklung des verbalen Humors bei Kindern. Darin vertritt sie den psychoanalytischen Standpunkt, dass es Aufgabe des Humors sei, den Kindern zu helfen mit Aggressionen, Ängsten und gesellschaftlichen Zwängen umzugehen und „a momentary release from frustration“, also eine vorübergehende Frustrationsbefreiung zu erreichen.

Etwa 10 Jahre später erschien eine Arbeit des Psycholinguisten Helmut Helmers, die sich ebenfalls mit dem verbalen Humor von Kindern beschäftigt. Darin erläutert er, dass die spielerische Wortproduktion und das komische Sprachrepertoire der Kinder vor allem eine sozialisatorische Bedeutung haben. Der verbale Humor übernehme – so meint Helmers – die Funktion des Einübens von sprachlicher und sozialer Ordnung. Und wenn das Kind lacht, zeige es seine Erleichterung darüber, dass sich diese Ordnung als stabil erweise.

Wenn Kinder sich gegenseitig zum Lachen bringen, so hat dies vielseitige Auswirkungen auf ihre soziale, emotionale Entwicklung: Sie lernen aufeinander zuzugehen, ihre Ängste abzubauen, Vertrauen zu anderen Menschen zu fassen, aggressionsfrei miteinander zu kommunizieren, kurzum sie lernen die sozialpsychologischen Grundlagen. Außerdem können sie die eigenen emotionalen Frustrationen humorvoll abbauen; z. B. wenn sie sich in der Sauberkeitserziehung über ihr Pipi lustig machen, so hilft ihnen der Humor, mit ihren Gefühlen der Peinlichkeit umzugehen.

Viele empirische Studien (McGhee 1979a/Kauke 1996/Berger 1998/Bönsch-Kauke 1999) widerlegen heute Freuds Ansicht, dass Kinder keinen Sinn für Humor haben. Kinder lachen besonders häufig, wenn sie spielen oder wenn sie ihre intellektuellen Fähigkeiten erfolgreich testen. Wer kennt es nicht, jenes strahlende Lächeln, wenn einem Kind nach langem Bemühen etwas allein gelingt. Der Humor des Kindes entsteht aus dem spielerischen Experimentieren mit neuem Wissen und ist somit Bestandteil seiner kognitiven Entwicklung. Kognitiv gesehen eröffnet Humor neue Perspektiven, regt die kreativen Potenziale an und lässt Altbekanntes in neuem Licht erstrahlen.

Der amerikanische Kognitionsforscher Paul McGhee geht davon aus, dass im Alter von ca. zwei Jahren eine intensive Entwicklung des kindlichen Humors einsetzt. Er hat sich wie kein anderer für diese Entwicklungsstufen interessiert. In seinem Buch Humour and children’s development (1967) unterscheidet er vier Stufen, die eng an die intellektuelle Entwicklungstheorie des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget (1948) angelehnt sind:

Erste Humorstufe (ab ca. eineinhalb Jahren)

Nonverbale Verhaltensweisen, Sprache spielt noch keine Rolle

Inkongruentes (widersprüchliches) Handeln im Umgang mit Personen, Tieren oder Objekten, z. B. der Bär mit Hose oder das tanzende Brot im Fernsehen

Gegenstände werden behandelt, als wären sie andere, z. B. eine Banane dient als Telefonhörer

Zweite Humorstufe (ab dem zweiten Lebensjahr)

  • Inkongruentes Benennen (Fehlbenennungen) von Ereignissen, Objektnamen werden umgedeutet oder substituiert, z. B. der Löffel wird Schaufel genannt
  • Sprachliche Normen werden missachtet
  • Zunehmende kognitive Flexibilität

Dritte Humorstufe (ab drei bis sechs Lebensjahren)

  • Konzeptionelles Denken beginnt: Das Kind versteht, dass sich ein Wort nicht nur auf ein Objekt beziehen kann, sondern auch auf eine ganze Kategorie von Objekten, die sowohl gemeinsame als auch unterschiedliche Merkmale aufweisen
  • Erzählungen, die bekannte Konzepte auf den Kopf stellen, z. B. Lügengeschichten, lösen nun großes Gelächter aus
  • Experimentieren mit formalen Sprachmerkmalen, z. B. einzelne Buchstaben verdrehen z. B. rinks – lechts
  • Kreativer Umgang mit Sprache; Freude an Phantasiewörtern, Alliterationen (Stabreime) und Reimen

Vierte Humorstufe (ab dem siebten Lebensjahr)

  • Vergleichbar mit Piagets Intelligenzstufe der konkreten Operation, d. h. das Kind kann eine logische Beziehung von Ereignissen herstellen, ohne sie konkret wahrgenommen zu haben
  • Mehrdeutigkeit von Wörtern wird erkannt
  • Unsinnwörter, Sprachspiele, Scherzfragen und Witze werden interessant
  • Erster Schritt in Richtung des Erwachsenenhumors, da die sprachliche Mehrdeutigkeit erkannt wird und flexibles Denken möglich ist. Dies sind wichtige Voraussetzungen, um Wortschöpfungen und Witze zu verstehen

Auch wenn es zwischen den sozialpsychologischen und kognitionspsychologischen Forschungsansätze starke Unterschiede gibt, so betonen doch beide, dass die Humor­entwicklung des Kindes ein wichtiger Faktor in der Sozialisation zum Erwachsenen ist.

Schritt für Schritt erwirbt es die Fähigkeiten, die ein Mensch braucht, um Humor verstehen und genießen zu können. Als solche nennt die Verhaltensbiologin Dr. G. Haug-Schnabel (2002) von der Universität Freiburg:

  • Die geistige, soziale Entwicklung muss soweit fortgeschritten sein, dass das Humorvolle und Witzige als Abweichung von der Norm erkannt wird.
  • Man sollte wissen, dass nicht alles Gesagte ernst gemeint ist und dass mitunter Worte nur zum Spaß ausgetauscht werden. Man muss heraus hören, was eigentlich mit dem Gesagten, z. B. der Pointe gemeint war.
  • Innere Souveränität ist wichtig, man sollte über der Sache stehen und sich nicht persönlich betroffen fühlen.
  • Um schließlich lachen zu können, muss man die realitätsverzerrte Perspektive des Witzes oder des humorvollen Geschehens genießen können. Erst dann wird Humor zum Kitzeln des Geistes.

Literatur:

Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Frankfurt a. M. 2001

McGhee,P.E.: Humour. Its origin and development. San Francisco 1979a

Haug – Schnabel, Gabriele: Kinder lachen gern. Was ErzieherInnen im Umgang mit Humor wissen sollten. In: Kindergarten heute 4 / 2002

Kauke, M.: Macht Kindheit heute noch Spaß? Beobachtungsstudien zum Humor unter Kindern im Schulalltag. In: Gruppendynamik 27/1996/4, S. 399–414

Berger, P.L.: Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung. Berlin, New York 1998

Bönsch-Kauke, M.: Witzige Kinder. Zur spielerischen Entwicklung von humorvollen Interaktionen zwischen sieben- bis zwölfjährigen Kindern durch kreative Techniken. In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie 31/1999/3, S. 101–115

Diesen Artikel haben wir aus dem Buch von Dr. Charmaine Liebertz mit dem Titel „Das Schatzbuch des Lachens“ entnommen. Das Buch ist bei Burckhardthaus-Laetare erschienen.

Das Schatzbuch des Lachens
Grundlagen, Methoden und Spiele für eine Erziehung mit Herz und Humor
Paperback, 208 Seiten
ISBN/EAN: 9783944548272
19,95 € (D), 20,50 € (A)