Wenn Kinder sauber werden sollen

Drei Jahre –ein für die Blase brisantes Alter

Mit drei Jahren kommen bei uns die meisten Kinder in den Kindergarten. Das ist ein Zeitpunkt, auf den die Eltern hinarbeiten, ihr Kind trocken zu bekommen.

Der zunehmende Druck wird spürbar und ans Kind weitergegeben. So gerät der Kindergarten im Empfinden des Kindes bereits in ein schlechtes Licht. „Wegen dem blöden Kindergarten muss ich immer auf dem Klo sitzen, ich will gar nicht mehr hin!“ Immer noch kursieren Gerüchte, dass nur „trockene“ Kinder in den Kindergarten aufgenommen werden. Das stimmt nicht. Bis vor einigen Jahre gab es Kindergärten, die sich weigerten, Kinder mit Windeln aufzunehmen. Diese Ablehnung ist und war rechtlich nie haltbar. Doch welche Eltern wollten sich schon vor dem Kindergartenstart mit den Erzieherinnen über dieses Thema streiten?

Die Situation hat sich grundlegend verändert und dadurch auch erfreulich entschärft:

  • Es gibt das Recht auf einen Kindergartenplatz mit drei Jahren, egal ob tagsüber trocken oder nass (die nächtliche Situation interessiert sowieso niemanden)
  • Heute werben die Kindergärten wieder um Kinder, bisweilen sogar um Zweijährige
  • Die Eltern treten dank besserem Wissen über die Sauberkeits-Entwicklung selbstbewusster auf, was aber meist gar nicht nötig ist, weil auch die Erzieherinnen zu kompetenten Ansprechpartnerinnen in Sachen kindgemäße Sauberkeits-Erziehung geworden sind
  • Eine Windel im Kindergarten darf kein Problem mehr sein

Die Windel ist auch im Kindergarten-Alltag wirklich kein Problem mehr – vor allem seit es Wegwerfwindeln oder sogar Windelhöschen gibt, mit denen das Kind sogar schon allein umgehen kann. Zudem ist eine Windel meist nur für kurze Zeit nötig. Denn mit drei Jahren sind tatsächlich die meisten Kinder soweit, trocken zu werden. An den dann wichtig werdenden Lernschritten fehlt es auch nicht. Modelle zum Nachahmen, wie man es richtig macht, gibt es genug. Bei der Eingliederung in die Gruppe schauen die Kleinen den Großen vieles ab, auch wann und wie man zur Toilette geht. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Kinder innerhalb von zwei Monaten im Kindergarten trocken werden – immer vorausgesetzt, ihre Blasen-Kontrolle ist bereits ausgereift. In den Waschräumen der Kindergärten herrscht eine positive Atmosphäre, die Kinder begleiten und unterhalten sich. Neugierde und miteinander Spaß haben stehen im Vordergrund. Ein Toilettengang ist ein „sozialer Akt“, bei dem man viel lernt, aber auch Hilfsbereitschaft erlebt und bald selbst „den Kleinen“ helfen kann.

Diese positive Lernatmosphäre braucht einen pädagogischen Schutzrahmen. So ist es ungünstig, die ganze Gruppe vor einer neuen Aktion „noch schnell aufs Klo“ zu schicken. In diesem unüberschaubaren Trubel kommt Hektik auf, die einzelne Kinder ängstigen und selbständiges Handeln blockieren kann. Selbst die Großen verlieren hierbei ihre Toiletten-Souveränität. Auch wichtig: im Alter von vier bis fünf Jahren nimmt die Scham gegenüber Erwachsenen und auch anderen Kindern deutlich zu, wenn beim Toilettengang noch Hilfe nötig ist. Die Kinder erleben ihr abhängiges Verhalten als nicht altersgemäß. Grund genug, das „Allein-auf-der-Toilette-zu-Recht-kommen“ früh zu unterstützen und durch praktische Hilfe gezielt zu fördern.

Was tun, wenn keine Blasen-Kontrolle in Sicht ist?

Jetzt muss geklärt werden, weshalb ein Kind einnässt

Einnässen – was kann das überhaupt sein?

Von einer Störung der Urinausscheidung (Miktionsstörung) spricht man, wenn aufgrund des Alters eines Kindes davon ausgegangen werden kann, dass es die Urinabgabe kontrollieren und seine Blase angemessen entleeren kann. Man sagt, ein Kind nässt ein, wenn es nach seinem 5. Geburtstag mindestens zweimal im Monat zu einer unkontrollierten Harnabgabe am Tag oder nachts im Bett kommt. Denn fünf Jahre ist ein Alter, in dem der psychische und physiologische Reifungsgrad bei über neun von zehn Kindern eine kontrollierte BlasenEntleerung möglich macht.

Einnässen kann verschiedene Ursachen haben und wird dann auch jeweils anders benannt.

Enuresis wird das Einnässen ohne funktionelle oder organische Gründe genannt. Mit Enuresis beschreibt man jede normale, weitgehend vollständige Blasen-Entleerung, die jedoch am falschen Platz und zur falschen Zeit bei einem Kind stattfindet, das seinen 5. Geburtstag hinter sich hat. Das Kind hat keine Auffälligkeiten bei der Harnabgabe selbst (keine Miktions-Auffälligkeiten). Der weitaus größte Teil der einnässenden Kinder hat eine Enuresis (80 bis 85%). Um sie geht es in den nächsten Kapiteln des Buches.

Bei Harn-Inkontinenz haben wir – klar abgegrenzt – keine normale Blasenentleerung vor uns. Sie bedingt einen ungewollten Harnabgang, der fast ausschließlich tagsüber erfolgt. Das Kind zeigt Auffälligkeiten bei der Harnabgabe (Miktions-Auffälligkeiten). Diese ungewollte Blasenentleerung wird durch körperliche Störungen (wie neurogene Blasen-Störungen, Struktur-Anomalien der Nieren oder ableitenden Harnwege oder als krankheitsbedingte Folge-Erscheinung, zum Beispiel bei Harnwegs-Infektionen, Missbildungen, Tumoren, Stoffwechsel-Störungen oder Anfallsleiden) oder Fehlfunktionen im Nieren-, Blasen- und Harnwegsbereich ausgelöst.

Zu der funktionellen Harn-Inkontinenz wird z.B. die Drang-Inkontinenz gezählt. Bei ihr kontrahiert sich die Blasenwandmuskulatur bereits, während sich die Blase füllt, was zum wiederholten Abgang kleiner Urinmengen führt, gegen die sich das Kind nur mit Haltemanövern zeitweilig wehren kann. Unterdrückt ein Kind aus verschiedenen Gründen auch bei voller Blase einen Toilettengang, bis es zu einem spontanen Harnabgang kommt, spricht der Kinderarzt von einer Harn-Inkontinenz bei Miktions-Aufschub.

Ist das komplizierte Wechselspiel zwischen Blasenwandmuskulatur und Blasen-Schließmuskel gestört, entspannt sich zum Beispiel der äußere Schließmuskel nicht während der Harnabgabe, kommt es immer wieder zu einer mehrfach unterbrochenen und unvollständigen Blasenentleerung, die für das Kind nicht mehr kontrollierbar ist. In diesem Fall spricht man von einer Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination. Mit inkontinenten Kindern beschäftigt sich dieses Buch nicht. Für sie stehen mehrere medizinische Ratgeber zur Verfügung. Doch muss bei allen einnässenden Kindern nach dem 5. Geburtstag erst geklärt werden, ob es sich um eine Enuresis oder eine Inkontinenz-Form handelt

Was geschieht beim Kinderarzt? Standard-Diagnostik für einnässende Kinder

Nicht jeder Kinderarzt hat die gleiche Vorgehensweise, organische Ursachen für das Einnässen zu erkennen oder auszuschließen. Doch haben sich die Kinderärzte auf ein einigermaßen einheitliches Vorgehen geeinigt. Wird ein Kind bereits seit Jahren in der selben Praxis betreut, sind viele Angaben bereits bekannt und müssen zur Kontrolle des Einnässens nicht mehr speziell erhoben werden.

Zuerst wird eine Krankengeschichte (Anamnese) erhoben. An erster Stelle sind Informationen zur Sauberkeits-Entwicklung und zum Einnässen selbst nötig, zum Beispiel:

  • Tageszeit des Einnässens (Wann nässt das Kind ein?)
  • Miktionsfrequenz und Einnässfrequenz (Wie häufig gibt das Kind am Tag Harn ab, und wie häufig nässt es ein?)
  • Phasen perfekter Blasen-Kontrolle (War das Kind bereits einige Monate trocken?)
  • Mögliche Anlässe für Rückschläge (Sind Auslöser für erneutes Einnässen bekannt?)
  • Miktionsauffälligkeiten tagsüber (Zeigt das Kind Haltemanöver, Anzeichen heftigen Drangs, Pressen vor der Miktion oder einen stotternden, schwachen Strahl?)
  • Medizinische Komplikationen (Sind Krankheiten bekannt?)
  • Bisherige Therapieversuche (bisherige Behandlungen sowie familiäre Anti-Enuresis-Programme wie Wecken, Abheben, Flüssigkeitseinschränkung etc.?)
  • Einkoten (Ist die Darmkontrolle perfekt, das Absetzen des Stuhles angemessen?) Leidet das Kind unter dem Einnässen?
  • Hat das Einnässen soziale Konsequenzen im Kindergarten, in der Schule, unter Gleichaltrigen?
  • Liegen kritische Lebensereignisse vor? Wie bewältigt das Kind den Alltag?
  • Verdacht auf psychische Störungen?
  • Wie bewerten die Eltern das Einnässen? Welche Einstellung haben sie dem Kind gegenüber?
  • Therapieerwartungen und Bereitschaft zur Therapiemitarbeit
  • Liegen familiäre oder Eheprobleme vor?

In vielen Kinderarztpraxen lässt man das Kind mit Hilfe der Eltern ein 24-Stunden-Miktionsprotokoll anlegen. Während eines gesamten Tages werden die Uhrzeit eines jeden Toilettengangs, die jeweils abgegebene Urinmenge, die Zahl der Einnässzwischenfälle, die Trinkmenge am Messtag und Besonderheiten beim Wasserlassen notiert.

Es folgt eine pädiatrische Untersuchung. Ist man kein neuer Patient in einer Praxis, hat diese Untersuchung zumeist schon in den frühen Kindheitsjahren stattgefunden. Der Genitalbereich, die Wirbelsäule und die unteren Extremitäten werden untersucht, um Fehlbildungen und neurogene Störungen ausschließen zu können.

Immer findet eine Urin-Untersuchung statt.

Je nach Praxisausstattung und Einnäss-Situation kommt eine Ultraschall-Untersuchung zur Erfassung funktioneller Veränderungen, wie verdickte Blasenwand, Restharn und Erweiterung des Enddarms, die zu einer Kompression von Blase und Blasenhals führen kann, hinzu. Oder eine Uroflow-Untersuchung, bei der auf einem Spezialklo der ins Becken auftreffende Harnstrahl gemessen wird.

Die Standard-Diagnostik dient dem Ausschluss funktioneller und organischer Befunde, die eine Inkontinenz belegen würden. Nach diesen Untersuchungen sieht man klar, ob eine Inkontinenz-Form oder eine Enuresis vorliegt. Nur bei einem massiven Krankheitsverdacht stehen weitere Untersuchungen an.

Liegt eine Inkontinenz vor, dann wird von Kinderärzten, Kinderurologen oder Kinderpsychiatern – je nach Funktionsstörung – zum Beispiel mit unterschiedlichen Medikamenten, mittels Toiletten-Training oder mit sogenannten Biofeedback-Verfahren behandelt. Das sind medizinische Techniken, die körpereigene Aktivitäten wie zum Beispiel die Harnabgabe registrieren, verstärken und für den Patienten in visuelle (auf einem Monitor zu sehende) oder akustische (über Kopfhörer zu hörende) Signale umsetzen. So wird zum Beispiel eine Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination mit ihrem fehlerhaften Zusammenspiel zwischen Blasenwandmuskulatur und Blasen-Schließmuskel sichtbar und kann durch eine bewusste Veränderung der Muskelarbeit immer mehr in die richtige Harnabgabekurve verändert werden. Das Kind lernt wieder, ohne Unterbrechungen und vollständig seine Blase zu entleeren.

Liegt eine Enuresis vor – also keine Fehlfunktion, Fehlbildung oder Erkrankung, die für das Einnässen verantwortlich ist – dann stehen blasenorientierte Behandlungsmaßnahmen nicht mehr im Vordergrund.

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Haug-Schnabel, Gabriele
Wie Kinder sauber werden können
Was Sie als Eltern wissen müssen, damit das Sauberwerden klappt
Oberstebrink
ISBN: 978-3-934333-11-6
208 Seiten, Hardcover 
17,80 €

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