Kinder vergleichen bringt Ärger

Kinder sind unterschiedlich begabt oder leistungsfähig. Sie messen sich aneinander, sie streiten und versöhnen sich und sie kämpfen um die Aufmerksamkeit der Erwachsenen. Ob als Geschwisterkinder zuhause oder in der Kita, oft entstehen Konflikte.

„Hässliches Entlein“ und „Stolzer Schwan“. Unterschiede können sehr weh tun

Sophie (elf Jahre alt) ist in jeder Beziehung ein Ass. Sie bringt in sämtlichen Fächern gute Schulnoten nach Hause, ist sportlich aktiv, spielt für ihr Alter bereits recht passabel Tennis. Sie räumt ohne Ermahnungen ihre Sachen weg und sieht dazu mit ihren schwarzen Locken und den blauen Augen ganz reizend aus. Jedermann ist von der Elfjährigen entzückt – bis auf eine Ausnahme: Ihre jüngere Schwester Annika (neun Jahre alt) hält im Gegensatz zu Eltern, Bekannten und Verwandten die Super-Sophie überhaupt nicht für bewundernswert, sondern für ein unerträgliches Übel, das ihr Tag für Tag die Laune verdirbt. „Hast du gesehen, Annika? Deine Schwester hat schon wieder eine Eins in Mathe geschrieben. Nimm dir ein Bespiel an Sophie und streng’ dich endlich mal an, damit du von deiner ewigen Drei runterkommst!“

Diese Aufforderung bekommt Annika in wechselnden Variationen von ihren Eltern ständig zu hören. Aber nicht nur die Leistungen in der Schule machen Annika zu schaffen. Was ihr Selbstverstrauen fast noch mehr erschüttert, ist die von allen bewunderte Schönheit der Schwester. Wenn Annika in den Spiegel schaut, sieht sie ein kleines pummeliges Mädchen mit langweiligen braunen Haaren und traurig herabgezogenen Mundwinkeln. „Wie du wieder rumläufst“, regt sich die Mutter auf. „Dein T-Shirt gehört längst in die Wäsche. Sophie achtet immer auf ihre Kleidung. Wenn du so weitermachst, wirst du später nie einen netten jungen Mann kennen lernen.“ Und Annika senkt den Kopf, kämpft mit den Tränen und wünscht sich doch nichts so sehr, als von Mami fest in den Arm genommen zu werden. Spürt sie denn gar nicht, wie unglücklich ihr kleines Mädchen ist? Aber Annika lässt sich so leicht nicht unterkriegen. „Wenn ich mich ganz doll anstrenge, werden Papa und Mami mich genau so gern haben wie Sophie. Und dann können sie auch auf mich stolz sein.“ denkt sie sich.

In den folgenden Wochen legt sich die jüngere Schwester auch mächtig ins Zeug, um den Erwartungen ihrer Eltern gerecht zu werden. Aber die erhoffte Anerkennung bleibt aus. Wenn Annika beispielsweise voller Stolz eine Zwei im Diktat präsentiert, hat Sophie garantiert den ersten Preis im Schwimmwettbewerb gewonnen und wieder einmal die ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nach diesen enttäuschenden Erfahrungen versucht es Annika auf die Kuscheltour. Sie schmeichelt sich auf Papis Schoß, um lieb gehabt zu werden, folgt ihrer Mutter wie ein Hündchen durchs Haus und appelliert mit gespielter Hilflosigkeit an die Fürsorge ihrer Eltern. Auch diese Taktik bringt das Mädchen aber nicht wirklich weiter. „Komm,

Annika, lass mich mal in Ruhe die Zeitung lesen. Später habe ich Zeit für dich“, heißt es vom Vater. „Mensch, Annika. Du wirst doch wohl allein das Fahrrad aus dem Keller holen können“, sagt die Mutter. „Ich verstehe nicht, was los ist mit dir. Als Sophie so alt war wie du, war sie schon viel selbständiger.“

Irgendwann wird es Annika zu viel. Sie rastet aus. Voll Wut gegen die bevorzugte Schwester greift sie zur Schere und zerfetzt Sophies Lieblingsbluse. Das hat richtig gut getan! Später, als die Attacke herauskommt, bringt die kleine Übeltäterin kein Wort der Entschuldigung über die Lippen. Verstockt lässt sie sich ausschimpfen und nimmt den Hausarrest in Kauf. Als einige Tage darauf Sophie den ersten Schritt unternimmt – „Annika, sei nicht so stur. Ich bin dir auch nicht mehr böse!“ –, scheint oberflächlich betrachtet alles wieder im Lot zu sein. Doch der scheinbare Friede trügt. Immer wieder brechen Differenzen zwischen den beiden Schwestern aus, die von den Eltern mit wachsendem Unverständnis registriert werden. „Warum können sich die beiden nicht vertragen? Sophie tut doch nun wirklich alles, um es Annika recht zu machen. Dieses Mädchen macht uns allen das Leben schwer.“

Keine Frage, die Eltern in diesem Beispiel verhalten sich in höchstem Maße unklug. Kinder können es nicht aushalten, permanent ein anderes als Vorbild hingestellt zu bekommen. Wir Erwachsenen können das ja ebenso wenig. Oder wie würden Sie empfinden, wenn der Kollege im Büro ständig von Ihrem Vorgesetzten als Musterexemplar für Arbeitseifer gelobt würde, dem Sie doch bitteschön nacheifern sollten? Sicherlich wären Sie nicht sehr erfreut. Denn die Bereitschaft, sich einen anderen als Beispiel zu nehmen, verlischt, sobald man wiederholt dazu aufgefordert wird.

„Ich kann etwas, was du nicht kannst.“ Wenn sich Kinder miteinander messen

Natürlich vergleichen sich Geschwister untereinander; das ist völlig normal. Gerade weil sie die meiste Zeit zusammen verbringen, kennt jedes von ihnen die Stärken und Defizite des anderen genau. Diese Vergleiche liefern zudem den Maßstab für das eigene Können und helfen, Nischen zu finden, in denen man sich vom anderen absetzen kann: „Alice kann besser Klavier spielen als ich. Dafür bin ich unschlagbar im Bodenturnen“. Geschwister wollen sich gegenseitig imponieren, wollen besser sein als der andere. Schon allein deswegen nehmen sie sich gegenseitig als Vorbild – so lange, bis die Eltern mit Lob oder Tadel Partei ergreifen. Kinder neigen oft von Natur aus dazu, sich voneinander zu unterscheiden. Glänzt die Schwester durch Gehorsam, Ordnungsliebe und Fleiß, wird sich die andere mehr durch Kessheit und ein gewisses Laisser-faire hervortun. Geschwister, die in den gleichen Disziplinen Erfolge feiern – wie etwa die Schwestern Williams im Tennis – sind eher selten. Lieber finden sie ihre persönlichen Begabungen heraus und entwickeln diese gezielt weiter.

Brüder und Schwestern haben an und für sich auch keine Probleme damit, die Erfolge des anderen anzuerkennen und zu bewundern. Besonders im Kindergarten, in der Schule oder im Verein kommt ein Held aus der eigenen Familie immer gut. „Heute Nachmittag wird bei uns daheim groß gefeiert. Mein Bruder hat nämlich den Pokal bei der Vereins-Jugendmeisterschaft im Tischtennis gewonnen.“ Der Respekt der Zuhörer ist ihr sicher, denn so einen Crack hat schließlich nicht jeder zum Bruder.

Alle Mühe ist umsonst. Ehrgeiz – nein danke

„Wenn ich meine Kinder miteinander vergleiche, möchte ich nur, dass sich der, der nicht so gut ist, anstrengt, besser zu werden. Es ist doch nichts Schlechtes dabei, wenn Geschwister miteinander wetteifern!“ So oder ähnlich lautet das Argument vieler Eltern, wenn sie auf das Thema „Konkurrenz unter Geschwistern“ angesprochen werden. Leider geht diese Rechnung nicht auf, weil Sie mit Vergleichen zumeist den gegenteiligen Effekt erreichen. Etwa dann, wenn das Kind, das Sie eigentlich anspornen wollten, angesichts der Überlegenheit des anderen überhaupt keine Lust mehr hat, sich um bessere Leistungen zu bemühen. Wozu auch, wenn Bruder oder Schwester sowieso immer spitze ist. Oder das Kind, das als leuchtendes Beispiel dient, spielt auf einmal nicht mehr mit. Denn es begreift, dass es immer dann Zoff mit den übrigen Geschwistern gibt, wenn es selbst wieder mal ein Top-Ergebnis erzielt hat. Also wird es sich in Zukunft eher zurückhalten, damit die anderen nicht wieder so böse werden. Dieser Verzicht auf eigene Erfolge ist vor allem dann zu erwarten, wenn sich die Geschwister ansonsten gut verstehen. Es ist aber auch möglich, dass sich Ihr Primus in der Rolle des Vorbilds gefällt und allmählich selbst davon überzeugt ist, besser als die anderen zu sein. Diese Selbsteinschätzung kann dann nicht nur zu einer gewissen Überheblichkeit führen, sondern darin gipfeln, dass der Vielgelobte seine Geschwister bevormundet und gängelt. So ein Verhalten werden die bestimmt nicht prickelnd finden und sich einmütig dagegen zur Wehr setzen. Ebenso fatale Folgen kann es haben, wenn Sie Ihre Kinder gegeneinander ausspielen.

„Hannes bringt immer den Müll runter – und du hängst bloß rum. Warum kannst du nicht auch so hilfsbereit sein?“ Dass Sie damit das Verhältnis der Brüder strapazieren, liegt auf der Hand. Für reichlich Konfliktstoff sorgen auch Bemerkungen wie: „Also, Regine, an deiner Stelle würde ich mir das ja nicht gefallen lassen. Was glaubst du, was deine Schwester hinter deinem Rücken alles erzählt. Das hätte ich nie von ihr gedacht!“ Sie können sicher sein, dass es zwischen den beiden in absehbarer Zeit ziemlich heftig zur Sache gehen wird.

Halten wir fest: Vergleichen schadet. Denn jedes Lob für den einen beinhaltet gleichzeitig einen Tadel für den anderen. Das stiftet Unfrieden in der Geschwisterbeziehung. Deshalb verzichten Sie darauf, die Leistungen Ihrer Kinder gegenüberzustellen und im Vergleich zu bewerten. Denn es gibt auch andere Möglichkeiten, Ihre Kinder effizient zu unterstützen.

Jedes Kind hat seine starken Seiten. Fördern Sie sie

Selbstverständlich unterscheiden sich Ihre Kinder hinsichtlich Aussehen, Talenten und Charaktereigenschaften voneinander. Das lässt sich auch gar nicht wegdiskutieren. Es kommt aber darauf an, dass Sie als Eltern die verschiedenen individuellen Fähigkeiten wertneutral anerkennen: Kein Kind wird wegen seiner Eigenschaften bevorzugt, benachteiligt, mehr oder weniger geliebt. Mit dieser Haltung erreichen Sie bereits eine Menge. Denn Sie vermitteln Ihren Kindern das Gefühl, dass jedes um seiner selbst willen lieb gehabt wird. Sie können aber noch mehr tun. Ermutigen Sie jedes einzelne Kind, indem Sie seine individuellen Stärken fördern. Sparen Sie nicht mit Lob, wenn ein Kind eine Sache sehr gut gemacht hat. Und wenn etwas auf Anhieb nicht so recht gelingt, reden Sie positiv: „Ist doch nicht schlimm, wenn es beim ersten Mal nicht so toll geklappt hat. Denk doch mal, als du mit dem Schlittschuhlaufen angefangen hast. Immer wieder bist du hingefallen und hast geglaubt, nie im Leben übers Eis laufen zu können. Und jetzt bist du echt klasse. Also Kopf hoch – ich bin sicher, bald gehörst du auch beim Tennis zu den Besten.“

Wie entdeckt man nun, ob ein Kind besondere Begabungen hat und wo die liegen? Ein wesentliches Merkmal für ein außerordentliches Talent ist, dass sich so ein Kind auffällig für ein bestimmtes Gebiet interessiert – und zwar ohne Ihr Zutun oder Ihre Anregung. Wenn Sie merken, dass Ihr Kind sich ausdauernd etwa mit Musizieren, Malen oder einer Sportart beschäftigt und sich durch nichts und niemanden ablenken lässt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich dabei um eine spezielle Begabung handeln könnte. Weitere Anzeichen sind ein großes Bedürfnis an Informationen über das jeweilige Interessengebiet, ein effizientes Agieren und eine überdurchschnittliche Empfindlichkeit gegen alle Kritik an dem favorisierten Thema. Manche Eltern entwickeln nun übersteigerten Ehrgeiz und wollen „auf Teufel, komm raus“ dieses Talent fördern. Doch hier trifft das bekannte Sprichwort zu: Zu viel Eifer schadet nur. Denn eine Förderung, die sich nur auf ein Feld begrenzt, kann die gesamte Entwicklung des Kindes behindern, weil andere Fähigkeiten auf der Strecke bleiben. Es ist auch gar nicht notwendig, eine starke Begabung einseitig zu fördern. Für das Kind ist es besser, ihm genügend Freiraum zur freien Entfaltung zu geben. Also mischen Sie sich nicht großartig ein, um Ihr Kind in die gewünschte Richtung zu lenken. Über kurz oder lang wird es selbst anfangen, sich gezielt mit seinem Lieblingsbereich zu beschäftigen. Und das sollten Sie ihm dann nicht verwehren. (…)

Tun oder lassen:

  • Sagen Sie offen, was Sie am Verhalten eines Kindes stört oder was Ihnen gefällt.
  • Motivieren Sie mit Fingerspitzengefühl.
  • Machen Sie Ihrem Kind Mut, wenn es einmal versagen sollte.
  • Nehmen Sie Rücksicht auf die Gefühle Ihrer Kinder.
  • Vermeiden Sie alle Vergleiche – positive wie negative.
  • Bringen Sie Ihre Kinder nicht in Verlegenheit.
  • Setzen Sie Schwächen oder Stärken nicht als Druckmittel ein.

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Monika Schloß (Hrsg.):
Wie Geschwister Freunde werden
So helfen Sie Ihren kleinen Rivalen, sich zu verstehen und zu vertragen
Hardcover
207 Seiten
ISBN: 978-3-934333-26-0
14,95 €

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