Föderalismus nicht der Grund für mangelnde Vergleichbarkeit von Schulnoten

Studie der Universität Tübingen und des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) untersucht Schulnoten - mangelnde Vergleichbarkeit nicht durch Unterschiede zwischen Bundesländern, sondern innerhalb von Bundesländern

Wenn in Deutschland Schülerinnen und Schüler mit vergleichbaren Kompetenzen stark voneinander abweichende Schulnoten erhalten, können Unterschiede zwischen Bundesländern nur drei Prozent dieser Abweichung erklären. Unterschiede innerhalb einzelner Bundesländer sind dagegen viel wichtiger zur Erklärung ungleicher Benotung bei gleicher Kompetenz. Eine einheitliche nationale Bildungspolitik würde deshalb vermutlich kaum zu einer besseren Vergleichbarkeit von Schulnoten beitragen. 

Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Tübingen und des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in dem Fachjournal Zeitschrift für Erziehungswissenschaft veröffentlicht wurde. 

Gründe für die ungleiche Benotung werden bereits seit langem wissenschaftlich diskutiert. „Unsere Studie erweitert diese Diskussionen, indem sie drei Ebenen des Bildungssystems untersucht: Unterschiede zwischen Bundesländern, Unterschiede zwischen Schulen innerhalb der einzelnen Bundesländer und Unterschiede innerhalb von Schulen“, sagt Juniorprofessor Nicolas Hübner, Erstautor der Studie. 

Für ihre Analyse werteten die Bildungsforschenden die Daten von rund 55.000 Schülerinnen und Schülern der neunten Jahrgangsstufe in Deutschland aus. Neben den Schulnoten nutzten sie dabei Prüfungsergebnisse aus den IQB-Bildungstrend-Studien der Jahre 2015 und 2018, die durch schriftliche standardisierte Tests gewonnen wurden und Kompetenzunterschiede von Schülerinnen und Schüler dokumentieren. Unter „Kompetenz“ werden in der Bildungsforschung dabei häufig Fähigkeiten und Fertigkeiten von Schülerinnen und Schülern verstanden, die notwendig sind, um beispielsweise Texte zu verstehen und mathematische Aufgaben zu lösen. Diese Ergebnisse aus standardisierten Tests verglichen sie mit den tatsächlichen Schulnoten und kamen zum Ergebnis, dass sich 21 Prozent der Unterschiede bei Schulnoten durch solche Kompetenzunterschiede erklären lassen.

Der größte Teil der übrigen Unterschiede in der Benotung aber, insgesamt 85 Prozent, lassen sich auf Unterschiede innerhalb von Schulen zurückführen. Hierbei könnte es sich beispielsweise um mündliche Leistungsunterschiede von Schülerinnen und Schülern handeln oder um andere individuelle Merkmale wie die Motivation oder Gewissenhaftigkeit. Unterschiede zwischen Schulen innerhalb der einzelnen Bundesländer (zum Beispiel durch unterschiedliche durchschnittliche Leistungsniveaus oder unterschiedliche Benotungspraxen) erklärten weitere zwölf Prozent. Unterschiede zwischen Bundesländern (zum Beispiel Unterschiede in rechtlichen Regelungen) leisteten schließlich mit drei Prozent den kleinsten Beitrag zur Erklärung der mangelnden Vergleichbarkeit von Schulnoten. 

„In der öffentlichen Debatte wird das Thema der eingeschränkten Vergleichbarkeit von Schulnoten häufig ausschließlich vor dem Hintergrund struktureller Bundeslandunterschiede diskutiert“, erklärt Hübner. „Unsere Studie legt nahe, dass Unterschiede innerhalb von Schulen und zwischen Schulen innerhalb der Bundesländer deutlich relevanter zu sein scheinen.“ Eine Fokussierung auf Bundeslandunterschiede bei Diskussionen um die Vergleichbarkeit von Schulnoten laufe Gefahr, weitaus wichtigere Faktoren zu vernachlässigen.

Originalpublikation:

Hübner, N., Jansen, M., Stanat, P., Bohl, T. & Wagner, W. (2024). Alles eine Frage des Bundeslan-des? Eine mehrebenenanalytische Betrachtung der eingeschränkten Vergleichbarkeit von Schulno-ten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. https://doi.org/10.1007/s11618-024-01216-9 

Zurück