Interview: Medienkonsum in Zeiten von Corona

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Digitale Medien sind aus dem Familienleben nicht mehr wegzudenken – gerade jetzt in Corona-Zeiten. Doch wie viel Medienkonsum ist für mein Kind eigentlich in Ordnung und wie behalte ich das Gesehene und Gespielte meines Nachwuchses im Blick? Ein Gespräch mit Medienpädagogen und Psychotherapeut Steve Ziemann.

 

Welche Bedeutung haben digitale Medien in der Corona-Krise für Familien?

Steve Ziemann: Aus meiner Überzeugung nimmt die Bedeutung der digitalen Medien für Familien zurzeit stark zu. Das liegt zum einen an der Generation, denn die Kinder wachsen damit ganz einfach auf, aber natürlich haben Eltern in der Corona-Zeit auch eine größere Verantwortung. Sie haben die Rolle des Erziehers, Lehrers, Betreuers und Unterhalters. Sie müssen die Kinder beschäftigen, für Ablenkung sorgen, beim Lernen unterstützen, Wissen übermitteln, Beispiele bringen und die Zeit füllen, die sonst mit Schule, Kita, Sportverein, Jugendgruppe etc. belegt wäre. Das stellt für viele eine Herausforderung dar und da können digitale Medien sehr hilfreich sein. 

 

Ausnahmezeiten brauchen auch Ausnahmen. Wie wichtig sind trotzdem Medienregeln in diesen Tagen?

Steve Ziemann: Regeln sind Regeln. Sie sollten omnipräsent und unumstößlich sein, weil Regeln einen wichtigen Grund haben: sie geben Eltern und Kindern Struktur und Halt. Sie sind deswegen gerade in Ausnahmesituationen besonders wichtig. Ohne sie entstehen Unsicherheit und Frust. Wichtig ist es aber, die Regeln nach der Situation anzupassen. Wenn es vor Corona die Regel gab, nur eine bestimmte Anzahl von Minuten Medien zu konsumieren, kann man das jetzt ausweiten. Aber auch dafür sollten ganz klare Absprachen kommuniziert und dann auch durchgesetzt werden. Die Gefahr besteht darin, die Kinder vor dem Fernseher oder dem Tablet zu „parken“, aber das sollte man vermeiden. Da ist Augenmaß gefordert und man sollte die Regeln je nach Kind aber auch an die äußere Situation anpassen. Also wenn es Lockerungen bei den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen gibt, sollte der Medienkonsum wieder reduziert werden. Wichtig ist es, konsequent zu bleiben. Eltern sollten die Maßnahmen erklären, aber nicht rechtfertigen.

 

Gibt es „guten“ und „weniger guten“ Medienkonsum? Stichwort: Serien schauen vs. Aktiv etwas gestalten – Stopmotion Filme, etc.

Steve Ziemann: Eltern sollten sich überlegen: wofür soll der Medienkonsum dienen? Zur Unterhaltung, als Unterricht oder Pausenfüller oder um gemeinsam Zeit mit der Familie zu verbringen und Spaß zu haben. Dann muss darauf geachtet werden, dass das Format alters- und entwicklungsgerecht ist und auf zu viel Action, zu schnelle Reize, zu komplizierte Storylines verzichtet wird. Eine Überreizung mittels Bild, Ton und Story fasziniert die Kinder zwar kurzzeitig, aber sie können wenig damit anfangen oder für sich etwas daraus ziehen. Deswegen wurde als Beispiel bei der neuen Webserie KNOPF & KNÖPFCHEN auf kleinkindgerechten Content Wert gelegt. Es werden lebensnahe Situation gezeigt, begleitet durch die Eltern und einer ähnlichen Familiensituation, wie der eigenen. Durch die angenehmen Stimmen, die einprägsame Musik, die Wiederholungen und die positiv besetzten Bezugspersonen, die Teddybären Knopf und Knöpfchen, fühlen sich Kinder sicher, sie lernen moderat etwas und werden unterhalten, ganz ohne Reizüberflutung.

 

Was sind aus ihrer Sicht Qualitätskriterien für eine gute Kinderserie?

Steve Ziemann: Die Qualitätskriterien hängen ab vom Anspruch, den wir an die Serie haben. Gut ist es, wenn sie kindgerecht, lustig, unterhaltend, alltagsnah und ohne Reizüberflutung neue Anregungen und in Maßen neue Informationen übermittelt. Medien sollten den Eltern die Möglichkeit geben, Inhalte in ihre Erziehung einzubauen und darüber mit den Kindern zu sprechen („Schau mal, so wie bei uns!“), umso besser gelingt der Transfer von Gesehenem zur Lebenswelt des Kindes. Es darf auch einfach nur mal lustig sein, denn wenn es Spaß macht, bleiben die Kinder dabei und adaptieren es. 

 

Welche Chancen sehen Sie in den „Medien“-Konsum während der Corona-Zeiten? Besteht zum Beispiel die Chance, dass neue, pädagogisch-wertvolle Formate entstehen oder die Offenheit der Eltern für bewussten/wertvollwen Medienkonsum wächst?

Steve Ziemann: Definitiv ist das eine ganz große Chance. Der Stellenwert von e-Learning wächst und spielt eine immer größere Rolle. Internet und digitale Medien werden immer wichtiger und gehören zum Alltag der Kinder. Wichtig ist nicht nur zu wissen, wie man sie nutzen kann, sondern auch, verantwortungsvoll damit umzugehen. Das Bewusstsein und die Akzeptanz, wie integrativ Medien verwendet werden können, ist ein Benefit von Corona.

Es gibt Beispiele wie Mebis und die Anton App, die es schon lange vorher gab. Aber jetzt werden sie richtig akzeptiert und gehören zur Normalität. Sie werden auch nach Corona sinnvoller Bestandteil bleiben. Blended learning wird im Schulalltag Einzug halten, remote learning wird immer mehr Möglichkeiten über die digitalen Medien bieten. Man sollte diese Welt nicht allein der Schule überlassen, sondern auch zuhause nutzen und Eltern ihre Kinder dazu anhalten, diese Möglichkeiten zu wahrzunehmen und z.B. zu einem Thema, das sie interessiert, zu recherchieren.

 

Wir Eltern stehen dieser Tage unter besonderem Druck – Homeoffice, Kinderbetreuung, Haushalt, Kochen. Aus Zeitgründen ist es überhaupt nicht möglich, den Medienkonsum der Kinder vollends zu begleiten oder zu beobachten. Wie behalte ich trotzdem im Auge, was meine Kinder spielen oder schauen?

Steve Ziemann: Es ist etwas zweischneidig. Eltern müssen wissen, was Kinder schauen. Sie müssen nicht die ganze Zeit dabei sein, aber wenn Kinder uneingeschränkten Zugang zu Medien haben, werden sie aus Neugier, Interesse oder Zufall früher oder später über Inhalte stolpern, die für sie nicht angemessen sind. Daher sollte es zwei regulierende Faktoren geben: Die Eltern sollten den Medienkonsum kontrollieren, in dem Sie z.B. feste Bildschirmzeiten ausmachen, den Zugang begrenzen oder mittels Kindersicherung einschränken.

Der zweite Faktor ist, die eigene Moralentwicklung der Kinder zu unterstützen. Ein Kind merkt recht schnell, wenn etwas nicht für es geeignet ist. Aber bevor es etwas sieht, dass es erschreckt, ist es besser schon im Vorfeld mit ihm zu reden und dabei zur Verantwortung zu erziehen, anstatt Angst zu machen. Man kann auch mit Belohnung oder Sanktionen arbeiten: Wenn das Kind unkontrolliert herumschaltet, darf es nicht mehr fernsehen.

Wichtig ist, dass die Kinder mit der Mediennutzung nicht allein gelassen werden und sich abgeschoben fühlen. Sie sollen jederzeit in der Lage sein, Fragen zu dem Gesehenen stellen zu können.

 

Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht im Moment der analoge Ausgleich? Der Spaziergang mit Abstand oder ein bisschen Zeit im Garten.

Steve Ziemann: Definitiv mindestens genauso wichtig wie vor Corona auch. Der größte Nachteil in dieser Krise ist nicht die veränderte Mediennutzung oder geschlossene Kitas und Schulen. Die fehlenden soziale Kontakte, das Treffen mit Gleichaltrigen, der peer group, macht Kindern und Jugendlichen sehr zu schaffen. Der Mensch ist ein soziales Wesen und die soziale Einbindung ist ungemein wichtig. Werte wie sozialer Austausch, Bindung, Nähe, Liebe sind umso wichtiger in den Zeiten, in denen der Kontakt zu Freunden oder Familienmitgliedern wie z.B. den Großeltern fehlt. Gerade dann braucht es verstärkt „quality time“ mit den Bezugspersonen, die zur Verfügung stehen, in der Regel Eltern und Geschwistern. Das gelingt besonders durch analoge Aktivitäten, wie Bücher vorlesen, Brett- oder Kartenspiele mit der Familie, Basteln, Malen, gemeinsam kochen…

Außerdem muss es einen Ausgleich zum Zuhause-Hocken geben: Möglichkeiten draußen zu spielen, sich zu bewegen, um gesund zu bleiben aber auch, um sich lebendig und frei(er) zu fühlen. Wenn der Handlungsspielraum eingeschränkt wird, fühlt sich schon ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft wie ein Stück Freiheit an, die man genießen kann.

Insgesamt möchte ich sagen: es gibt eigentlich keine schlechten Medien, sondern die Dosis macht das Gift. Wenn der Konsum über die Maße steigt, hat er negative Auswirkungen. Solange er Kinder nicht gefährdet und solange anderen Sachen nicht vernachlässigt werden, ist alles gut.

 

Über Steve Ziemann

Steve Ziemann ist Diplom Pädagoge approbierter Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. Seine psychotherapeutische Ausbildung absolvierte er bei der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie in München. Nach langjähriger Tätigkeit auf psychiatrischen Stationen verschiedener Kliniken und bei niedergelassenen Psychiatern und Psychotherapeuten, machte er sich 2019 selbstständig und hat in seiner Praxis mit vielen verschiedenen psychischen Störungsbildern zu tun. Die richtige Mediennutzung ist dabei ein besonders wichtiges Thema in vielen Altersstufen. Zusätzlich widmet er sich auch der Prävention und der Forschung im Bereich Krisenintervention.

Medientipp: KNOPF & KNÖPFCHEN

Die zwei Teddybären KNOPF & KNÖPFCHEN®, einer gesprochen von Max von der Groeben („Bibi & Tina“, „Fack ju Göhte“), wohnen in einem knuffigen Gartenhäuschen. Der kleine, quirlige und der große, kluge Bär unterhalten sich am liebsten über Themen, die Kinder tagtäglich beschäftigen, wie z.B. Zähneputzen, Schuhe binden, Seifenblasen pusten oder auch nur eine Sonne malen. Spielerisch taucht die Serie in die Alltagswelt der Kinder ein und beobachtet, wie sie kleine Erlebnisse und große Erfahrungen sammeln. Begleitet von einem fröhlichen Erkennungs- und Abschiedslied lernen sie mit Freude und Begeisterung jeden Tag etwas Neues.

Trailer –Knopf & Knöpfchen

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