Gewaltprävention in der Kita: Interview mit Josefine Barbaric

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Eine junge Erzieherin soll in mehreren Kitas Übergriffe auf Kinder verübt haben. Anfang Mai starb ein kleines Mädchen aus Viersen nach einem Atemstillstand. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach wirft der Frau Mord vor. Sie sitzt in Untersuchungshaft. Dieser Fall schockiert Eltern und Pädagogen gleichermaßen. Wir haben deshalb mit Präventionsexpertin Josefine Barbaric über Gewalt in der Kita, Folgen des Fachkräftemangels und wirksame Schutzkonzepte für Kinder gesprochen. 

 
Eine Erzieherin hat in einer Kita in Viersen ein Kind getötet. Das wirft eine große Frage auf: Wie steht es mit dem Kinderschutz in deutschen Kitas?

Bedauerlicherweise kommt es in regelmäßigen Abständen zu Gewaltmeldungen aus deutschen Kitas und sehr wohl stellt das Thema Gewalt an Kinder in deutschen Kitas ein großes und ernstzunehmendes Problem dar. Denn die Fälle, die an die Öffentlichkeit dringen, sind, wie so oft, nur die Spitze des Eisberges. Im Mai 2018 konnten wir lesen, dass ein Kitaleiter in Heilbronn über mehrere Jahre einen Jungen sexuell missbraucht hat. Im Oktober 2019 wurde durch die Sendung Kontraste über Original Play in deutschen Kitas berichtet. In diesem Zusammenhang haben Eltern in Berlin und Hamburg Missbrauchsfälle (auch Vergewaltigungen von Kindern in den Kitas) angezeigt. Im Dezember 2019 stellte die Pädagogin und Autorin Dr. Anke Elisabeth Ballmann ihr neustes Buch „Seelenprügel“ vor. Eine Dokumentation darüber, dass zu viele Kinder in ihrem Betreuungsalltag psychischer Gewalt durch Erwachsene ausgesetzt sind. Anfang 2020 gab es in Landkreis Rostock mehrere Kitaschließungen wegen Gewaltvorwürfen gegen Kitamitarbeiter und jetzt der tragische Tod von „Greta“. Warum habe ich all diese Fälle angeführt? Weil sie zeigen, dass es völlig unerheblich ist, über welche Gewaltform wir sprechen. Fakt ist, Kinder erleiden unter Umständen jede Form von Gewalt in den Kindertageseinrichtungen. Meine Vorträge beginne ich häufig mit dem einleitenden Satz: Der gefährlichste Ort für ein Kind, ist häufig das eigene Zuhause – doch für all die betroffenen Kinder aus den oben angesprochenen Fällen, waren es die Kindertageseinrichtungen.

 

Wie erklären Sie sich, dass die Erzieherin wohl schon früher auffällig wurde und trotzdem weiter als Pädagogin arbeiten konnte?

Schauen Sie, die erste Herausforderung sehe ich persönlich bereits darin, dass Auszubildenen zu Beginn keinem Persönlichkeitstest oder einem Eignungstest unterzogen werden. Das halte ich bereits für grob fahrlässig, denn immerhin arbeiten diese Personen irgendwann einmal mit kleinen Menschen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Einrichtungen im frühkindlichen Bereich im Vergleich zu allen anderen Bildungseinrichtungen die höchste Bildungsrendite erzielt – doch was ist dies unserer Gesellschaft wert? Wertschätzung? Gäbe es diese Wertschätzung, hätte auch die Politik bereits vor Jahren schon eine entsprechende Ausbildungsvergütung für den klassischen Ausbildungsweg an den Fachschulen eingeführt. Das hat man allerdings „verschlafen“ und billigend in Kauf genommen, dass dieser wichtige Beruf vor allem von jungen Leuten nicht als besonders attraktiv wahrgenommen wurde, weshalb sich viele junge Menschen auch heute erst gar nicht für diesen Beruf entscheiden. Dies, eine bundesweit stätig- steigende Geburtenrate und ein exorbitant ansteigenden Betreuungsbedarf auch bei den U3 Kindern führte in den letzten Jahren zu einem besorgniserregenden Fachkräftemangel.

Wenn Sie nun als Leitung einer Kita schon ohnehin ein sehr „dünne Personaldecke haben“, dann sind sie erst einmal froh, über jede und jeden, den sie haben bzw. bekommen können. Ich denke Sie werden mir Recht geben, wenn ich unterstelle das Mangel auch immer Mangel in der Qualität bedeutet. In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass Gewalt ganz häufig auch einen Mangel offenlegt. Den Mangel an sozialer Unterstützung! Damit entsteht nicht nur allerorts eine extreme Überlastungssituation für alle Beteiligten in den Kindertageseinrichtungen, viel schlimmer, es wird Raum geschaffen, für genau solche tragischen Zwischenfälle, körperliche Grenzüberschreitungen und Gewalttaten von Erzieher*innen gegen Kinder, im schlimmsten Fall mit Todesfolge, wie im Fall „Greta“.

 

Wie könnten Kinder besser geschützt werden?

Indem wir offen über das Thema Gewalt und vor allem Schutz vor Gewalt in den Einrichtungen sprechen. Hierzu braucht es die Bereitschaft für Präventions- und Schutzkonzepte bei den zuständigen Trägern, den Kommunen und auch in den Einrichtungen selbst. Bedauerlicherweise ist diese Bereitschaft häufig nicht vorhanden. Das solche wichtigen Qualifizierungen noch immer Freiwilligen-Leistungen sind, kann einfach nicht richtig sein.  Primäre Gewaltprävention hat die Aufgabe, durch Aufklärung und Austausch dafür zu sorgen, dass erst keinerlei Gewalt entsteht. Das ist im besten Fall ein gemeinsames Projekt zwischen Träger, Kitaleitungen, Erziehern und auch Eltern.

Gewaltprävention ist Kinderschutz und kostet nun mal Geld. Zudem schützt sie auch die Einrichtungen. Denn wenn ein Fall von körperlicher Grenzüberschreitung und oder Gewalt von einem Erzieher (w/m) gegen ein Kind an die Öffentlichkeit dringt, ist das immer auch ein enormer Imageschaden für die gesamte Einrichtung und auch für den zuständigen Träger.

Sie geben mir vielleicht Recht, wenn ich behaupte, dass es einhergehend mit dem Arbeitsschutz auch die Möglichkeit auf „Gewaltschutz“ in den Einrichtungen braucht. Sozusagen ein Leitbild, dass deutlich und klar nicht nur nach außen getragen wird, sondern ebenso als Verhaltensleitlinien für alle verantwortlichen Akteure innerhalb der Einrichtung gilt.

Regelmäßige Berichterstattung gehört zu einem erfolgreichen Gewaltschutz-Konzept. So darf es auch erst einmal nicht um Fingerpointing gehen – sondern vielmehr ums Verstehen.

Wann ist was bei wem zu melden? Hier empfehle ich, aus dem Team einen Präventionsbeauftragten aufzubauen. Diese Person sollte Vertrauensperson und Anlaufstelle für alle Kolleg:innen und Eltern sein.

Hinweise welcher Art auch immer, müssen unbedingt ernst genommen und ihnen muss bis zur vollständigen Klärung nachgegangen werden. Von Gewalt betroffene Kinder versuchen sich häufig so gut wie eben möglich mitzuteilen, es ist von unsagbar großer Bedeutung, dass wir Ihnen zuhören und glauben.

 

Welche Rolle spielt der Fachkräfte-Mangel bei solchen Fällen?

Eine sehr große Rolle. Schauen Sie, folgende Ergänzung möchte ich gerne noch hinzunehmen: Ganz häufig sprechen wir von dem Personalschlüssel in den Kindertageseinrichtungen. Ja, der ist wichtig, doch was sagt er aus? Viel entscheidender ist doch die Fachkraft-Kind Relation. Wir sind uns einig, wenn ich sage, dass die Fachkraft-Kind Relation viel aussagekräftiger ist, denn hier wird aufgezeigt, für wie viele Kinder eine Fachkraft im Alltäglichen tatsächlich zuständig ist. Und hier haben wir in vielen Einrichtungen bundesweit katastrophale Überlastungszustände, die durch die Vorgaben aus dem Infektionsschutzgesetz zur Covid-19 Krise leider auch aktuell nicht entlastet werden können.

Es braucht ein wertschätzendes Umdenken in unserer Gesellschaft. Die sichere und gute Betreuung unserer Kinder muss uns auch etwas wert sein.  Ebenso Wertschätzung durch die Politik. Die Bezahlung muss verbessert werden, und damit einhergehend braucht es Eignungstests, damit man qualitativ hochwertige Bewerber (w/m) gewinnen kann, die als ausgebildete Erzieher*innen auch im Beruf bleiben weil sie eben auch die Eignung zu diesem tollen Beruf mitbringen.

„Nur ein Drittel der frisch ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher nehmen tatsächlich eine Erwerbstätigkeit im Beruf auf, war der Befund vor gut einem Jahrzehnt (Keil u.a. 2012 in. Rauschenbach 2006). Laut einer Analyse des wenige Jahre später durchgeführten Mikrozensus (2008) arbeiteten von den Frühpädagoginnen und -pädagogen (Erzieherinnen und Erzieher sowie Kinderpflegerinnen und -pfleger), die zum Befragungszeitpunkt erwerbstätig waren, 35 Prozent berufsfremd. Insbesondere Männer hatten dem Beruf den Rücken gekehrt (Fuchs-Rechlin 2010: 39ff.). Einige dürften beruflich aufgestiegen sein (Sozialarbeit, Schulpädagogik), andere sind in andere Berufsfelder eingemündet, wovon etliche Büroberufe ausüben oder in der Altenpflege arbeiten. Wie viele der heutigen Absolventinnen und Absolventen tatsächlich in den Beruf einsteigen, ist nicht bekannt“. 

 

Woran können Eltern erkennen, dass etwas in der Kita nicht stimmt?

Ganz einfach, am Verhalten ihrer Kinder und an möglichen Verletzungen! Von Gewalt betroffene Kinder verändern sich. Werden unter Umständen leiser, wollen nicht mehr in die Kita gehen, haben am Morgen schon Bauch- und oder Kopfschmerzen. Weinen häufiger, nässen und und/oder koten wieder ein, werden unter Umständen aggressiv. Es gibt keine einheitlichen Hinweise. Kinder können körperlich und/oder psychisch völlig unterschiedliche Symptome an den Tag legen. Doch in einer Sache bin ich mir sehr sicher, wer sein Kind genau beobachtet oder noch passender begleitet erkennt die Veränderungen. Eltern sollten bei auffälligen Veränderungen ohne Scheu und Angst im Kindergarten nachfragen und das Gespräch suchen. Ich empfehle den Elternbeirat mit ins Boot zu nehmen. Vielleicht gab es hier schon Hinweise oder Meldungen von Eltern. Es sollte im Interesse aller Verantwortlichen sein, um eine vollständige Aufklärung bemüht zu bleiben.

 

 

Über Josefine Barbaric

Josefine Barbaric wurde am 13. Juni 1975 in Frankfurt am Main geboren. Es verbindet sie eine eigene und sehr persönliche Geschichte mit diesem schwierigen und sensiblen Thema "Sexuelle Gewalt". 2017 schrieb sie mit "Nein, lass das!" ein Aufklärungsbuch für Kinder und widmet sich seither dem Thema "Prävention gegen sexuelle Gewalt an Kindern". Sie ist nicht nur Autorin und Referentin, sondern zudem auch der Vorstand des gemeinnützigen Vereins Nein, lass das!

Über das Buch "Nein, lass das!"

Das Aufklärungsbuch gegen sexuelle Gewalt an Kindern ist als aktives Vorlesebuch für Kinder von 2-6 Jahren angedacht. 
Über eine leichte, kindgerechte und doch klare Art und Weise wird auf die Themen Körperlichkeit und Genitalien eingegangen. Zudem wird unseren kleinen Mitmenschen erklärt, wie sie sich zur Wehr setzen dürfen, wenn jemand etwas tun möchte, was sie nicht mögen. Dass es Kindern absolut erlaubt ist, NEIN sagen zu dürfen. Die Geschichte ist feinfühlig erzählt, zudem bunt und fröhlich illustriert, so dass man sie bedenkenlos vorlesen kann.
 
Paperback 12,90 inkl. MwSt. Nur im Direktvertrieb über bestellung@neinlassdas.com erhältlich!

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