Was macht mein „Inneres Kind“ mit mir?

Entdecken, annehmen und pflegen

Jedem Menschen wohnt (s)ein Inneres Kind inne. Es ist das kleine Mädchen/der kleine Junge, das/der in allem, was wir sind, mitschwingt. In unserem Inneren Kind schlummert die Welt unserer inneren Bilder, Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen, die wir während unserer Kindheit entwickelt und im Gehirn abgespeichert haben. Es steht für unsere instinktive Seite, für die Gefühle, die aus dem Bauch kommen und die in jedem Augenblick unseres Lebens wirken. Je nachdem, ob wir das Innere Kind in uns annehmen und lieben oder es ablehnen, zeigt es sich auch im Erwachsenenalter in unserem ganzen Sein.

Das geliebte Innere Kind ist die lebendige Seite in uns und drückt sich besonders durch Persönlichkeitsmerkmale wie Freude, Spontanität, Offenheit, Neugierde, Begeisterungsfähigkeit und Verantwortungsübernahme für das eigene Tun aus.

Das ungeliebte und abgelehnte Innere Kind drückt sich besonders durch Persönlichkeitsmerkmale wie Traurigkeit, Angst, Frustration, Ärger, Neid, Scham etc. aus und zeigt sich in der Suche nach Anerkennung und Bestätigung, durch Abhängigkeit von Personen oder Suchtmitteln oder in stark ausgeprägtem Konsumverhalten.

Wer in seiner Kindheit einen Mangel an Zuwendung und Liebe erlebt hat, kann, durch die eigene, tiefe Auseinandersetzung und die Herstellung einer Verbindung zu seinem Inneren Kind, alte Wunden heilen und nachträglich, durch den Aufbau von grundlegenden Fähigkeiten, seine Wurzeln festigen und damit für mehr Fülle in seinem eigenen Leben sorgen.

Durch das (Wieder-)Entdecken unseres Inneren Kindes wird unser Herz berührt. Da kommt das Ursprüngliche hervor, das jedes Kind mit seiner Geburt mit auf die Welt bekommt: die ganze Natürlichkeit unseres Wesens, unsere Sanftheit, unsere Hingabe, unser Lächeln, unser Schreien, unser Staunen, unsere einmalige und besondere Persönlichkeit, all unsere Talente, unsere Kreativität, unsere Neugierde, unsere Freude, Spontanität und Intuition, eine besondere Empfindsamkeit, die Liebe und Sinnlichkeit, die uns ausmacht, und der Glaube daran, dass alles gut ist. (vgl. Chopich, Erika J.; Paul, Margaret: Das Arbeitsbuch zur Aussöhnung mit dem Inneren Kind, Ullstein, Berlin 2013, S. 12)

Eine Kollegin hat während eines Selbsterfahrungsseminares nach intensiver Auseinandersetzung mit sich selbst, das folgende Gedicht geschrieben:

Der Sinn meines Lebens
„Das Wundervollste in meinem Leben war, mich der Leichtigkeit hinzugeben!
Ich hüpfte von Stein zu Stein
und kletterte in den höchsten Baum,
angenehmer und freier ging es kaum!
Doch irgendetwas geschah in meinem Leben
und hat mich daran gehindert,
mich der Leichtigkeit hinzugeben!
Drum bin ich auf der Suche,
nach dem Sinn in meinem Leben,
um meinem Leben wieder diesen Sinn zu geben!“

Maria S.

Übung: Das Innere Kind in sich entdecken

  1. Schreibe drei Persönlichkeitsmerkmale und drei Dinge auf, die für dich als Kind eine große Bedeutung hatten.
  2. Überlege: Gibt es sie noch oder nicht? Schreibe auf, welche Rolle diese Merkmale und Dinge heute noch in deinem Leben spielen. Wozu sind sie für dich wichtig?
  3. Schreibe ein schönes, dich berührendes Erlebnis aus deiner Kindheit auf. Welches Gefühl löst die Erinnerung an das Erlebnis in dir aus?

Warum ist die (Wieder-)Entdeckung und Annahme des Inneren Kindes für unsere Persönlichkeit entwicklungsförderlich?

  • Weil eine Bewusstheit und ein Empfinden über das Wirken der eigenen Gefühlswelt entsteht.
  • Weil man lernt, Gefühle anzunehmen, sie zuzulassen und somit eine Verarbeitung der eigenen Gefühlswelt geschieht.
  • Weil durch die Verarbeitung der unguten Gefühle alte Wunden und Verletzungen aus der Kindheit geheilt werden können.
  • Weil durch die Verarbeitung der unguten Gefühle, das Gute in uns zum Vorschein kommt und wir unsere eigenen Bedürfnisse, Träume, Ressourcen und Fähigkeiten wiedererkennen und nutzen können.
  • Weil wir durch die (Wieder-)Entdeckung ganz werden und somit besser für uns selbst und für andere sorgen können.
  • Weil wir dadurch immer besser bei uns selbst ankommen und die Verantwortung für die Bereiche unseres Lebens übernehmen können.

(vgl. Missildine, W. Hugh: In dir lebt das Kind, das du warst: Seelische Belastungen bewältigen, Klett-Cotta, Stuttgart 2012, S. 21 – 25)

„Nicht das Auge sieht, nicht das Ohr hört, nicht die Hand handelt, nicht das Gehirn denkt und lernt, sondern der ganze Mensch ist es, der jeweils durch das entsprechende Organ sieht, hört, handelt, denkt, lernt.“

Hugo Kükelhaus

Mensch werde, wer du bist. Mensch erkenne dich selbst. Mensch: Sei!

Sich mit dem Inneren Kind verbinden

 „Was man als Kind geliebt hat, bleibt im Besitz des Herzens bis ins hohe Alter.“

Khalil Gibran

Es sind die Erfahrungen der ersten sieben Lebensjahre, die grundlegend darüber entscheiden, welchen Verlauf unser Leben nimmt, zu welcher einmaligen Persönlichkeit wir heranwachsen, wer wir werden und wer wir heute in diesem gegenwärtigen Augenblick sind. Es sind die inneren Bilder, die Gedanken- und Verhaltensmuster und die Grundstimmungen der frühen Kindheit, die wir in uns tragen, die uns prägen und die heute über unser Denken, Fühlen und Handeln mitbestimmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns an das Kind, das wir einmal waren, erinnern und eine Verbindung zu ihm aufbauen. Es lebt beständig in uns weiter, und alles, was wir erlebt haben, spielt in unserem Leben eine Rolle. Insbesondere dann, wenn uns etwas in besonderem Maße berührt hat und auf Resonanz gestoßen ist. Das heißt, alles „was mich ‚trifft‘ – ‚betrifft’ mich auch“ (Robert Betz)!

Dabei ist die Gegenwart immer auch eine Wiederholung der Vergangenheit. Ein Rückblick auf Vergangenes bewirkt häufig einen Einblick in unser Leben, der uns auf bedeutsame Lebensfragen hinweisen und Veränderungsprozesse in Gang setzen kann. So gibt es immer noch viele Fragen, die in unserem Leben nach einer Antwort suchen. Wenn wir bereit und mutig sind, uns selbst zu reflektieren, wir uns an das eigene Kind in uns erinnern, Brücken zu ihm bauen und es erkennen, entwächst daraus die große Chance, sich von alten hinderlichen Verhaltens- und Gedankenmustern zu verabschieden und sich für Neues zu öffnen.

Das belegen die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie, der Bindungsforschung und der Neurobiologie. So beschreibt der Hirnforscher Gerald Hüther unser Gehirn als ein „sozial-emotionales Konstrukt“ und meint damit, dass alles, was wir empfinden, wahrnehmen, denken und tun ganz eng mit dem verknüpft ist, was wir seit unserer Kindheit an Bildern, Erlebnissen und Gedanken in unserem Inneren abgespeichert haben und was immer dann aktualisiert wird, wenn wir im Hier und Jetzt bewusst oder unbewusst daran erinnert werden. Dann kommen unsere ganzen Sorgen, Ängste, unsere Traurigkeit und natürlich auch unsere freudvollen und liebevollen Lebenserfahrungen zum Ausdruck. Die erfüllten und unerfüllten Bedürfnisse genauso wie die erwünschten und unerwünschten Gefühle, die uns auf einmal zutiefst berühren und etwas in uns auslösen. (vgl. Hüther, Gerald; Aarts, Maria: Beziehung wirkt Wunder – Was Kinder und Jugendliche zum Aufwachsen brauchen; DVD, Auditorium Netzwerk, Mülheim-Baden 2011)

Dies habe ich während eines Gottesdienstes in der Leeser Kirche gemeinsam mit vielen anderen Menschen erlebt. Es war der erste Gottesdienst der noch jungen und mutigen Pastorin Andrea Schridde in der Leeser Gemeinde. Obwohl es schon einige Jahre her ist, fiel mir dieser Abend ein, als ich nach einem Beispiel dafür gesucht habe, was uns mit unserem Inneren Kind verbindet. Die Pastorin begleitete uns mit einer geführten Traumreise zu den Heiligabenden unserer Kindheit zurück. Sie bat alle Menschen in der Kirche darum, ihre Augen zu schließen. Es war ein sehr berührendes und intensives Erleben: Schon nach wenigen Minuten hörte man die ersten Kirchengäste leise schluchzen, es herrschte eine wundervolle Stille, nur die Worte der Pastorin schwebten durch die ergreifende Atmosphäre der, bis zum letzten Platz belegten, Kirche, und als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich meine Tochter, eine Freundin und viele andere Frauen und Männer, die ergriffen waren, und manche rieben auch noch unauffällig einige Tränen aus ihren Augen. So etwas hatte es in der Kirche von Leese bis dahin nicht gegeben. Es war wirklich ein ganz besonderes Erlebnis. Frau Schridde hat mir ihren einfühlsamen Text zur Verfügung gestellt, und ich glaube, dass man auch durch das Lesen oder Vorlesenlassen dieses Textes an Heiligabend, wie er in der eigenen Kindheit war, berührend

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Starke Erzieher – starke Kinder
Eigene Ressourcen entdecken und einsetzen
Nürge, Kathrin
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548241
240 Seiten, 20,00 €

Mehr dazu auf www.oberstebrink.de



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