Was heißt Grenzen setzen?

Und weshalb Kinder keine kleinen Tyrannen sind

Wir müssen Grenzen setzen, sonst erziehen wir die Kinder zu kleinen Tyrannen? – Nein, so einfach ist das nicht! Wenn Sie Kinder erleben, die ihre Eltern tyrannisieren, können Sie davon ausgehen, dass die Beziehung zwischen den Eltern und den Kindern schwerwiegend gestört ist und dass sich die Kinder der elterlichen Liebe nicht wirklich sicher sind. Bei einer liebevollen Beziehung zwischen Eltern und Kindern erleben Sie auf keiner Seite Tyrannei!

Erziehung darf nicht von Machtansprüchen geleitet werden. Grenzen wird es trotzdem geben. Die ergeben sich aber aus ganz gewöhnlichen Alltagssituationen, aus den Erfahrungen, die man macht. Grenzen setzen heißt nicht, willkürlich zu handeln, nur weil man grade gestresst ist, oder etwas je nach Laune, mal zu erlauben, mal zu verbieten, wie es gerade passt. Mal so, mal so.

Nein, gemeint sind Grenzen, die wichtig sind, weil ich als Teil der Familie das Recht dazu habe, deutlich zu machen, dass mich ein Verhalten stört oder dass meine eigenen Grenzen verletzt wurden. Als Erwachsener kann ich auch einfach besser einschätzen, was das Kind braucht.

Ich vergleiche das Grenzensetzen gerne mit einem Haus, das meine Welt natürlich beschränkt. Andererseits schützt mich das Haus aber, gibt mir Halt und Sicherheit. Das Kind muss lernen, oft auch schmerzhaft, dass der Drang oder die Lust nach Selbstverwirklichung dort an seine Grenzen stößt, wo es in den Bereich des anderen eindringt und die Rechte des anderen verletzt.

Wir alle, die wir in sozialen Gemeinschaften leben, müssen die schwierige Balance halten können zwischen den individuellen Bedürfnissen und den Notwendigkeiten, die sich aus dem Zusammenleben von Menschen ergeben. Wir wollen ja weder Egoisten erziehen noch überangepasste Duckmäuser, nicht?

Aber alles Grenzensetzen nützt rein gar nichts, wenn ich ein schlechtes Vorbild abgebe. Denn jede meiner Handlungen ist weitaus wesentlicher und einprägsamer als jede verbal geäußerte Grenzsetzung. Denn wenn das Kind spürt, der Papa oder die Mama halten sich ja auch nicht daran, oder sie sind ambivalent, dann wird die ganze Erziehung fragwürdig.

Das heißt natürlich nicht, dass es nicht andere Regeln für die Erwachsenen geben darf als für die Kinder. Nein, keine Angst, Sie müssen nicht nach dem Sandmännchen ins Bett, bloß weil es dann Zeit für die Kinder wäre! So weit wollen wir mit dem guten Vorbild dann doch nicht gehen.

Respekt (das wurde bereits ausgeführt) ist auch ein Begriff, der mit menschlichen Gemeinschaften etwas zu tun hat. Nicht gemeint als unterwürfige Haltung des Kindes, sondern als eine beiderseitige Haltung dem anderen Menschen gegenüber und damit auch zwischen Eltern und Kindern, Kindern und Eltern.

Das heißt, die Bedürfnisse des anderen ernst nehmen und achten, auch annehmen können, dass ich im Unrecht bin oder dass der andere es besser weiß. Und im letzteren Fall meine ich die Kinder, die eigentlich vom Erwachsenen verlangen, dass er sie als Begleiter an die Hand nimmt und ihnen Sicherheit gibt.

Das alles geht aber nur gut mit Liebe und Wärme. Nichts ist so verheerend – außer Gewalt – wie Sturheit, Druck, autoritäres Verhalten, Rumgeschreie und Eltern, die nicht in der Lage sind, die echten Bedürfnisse Ihres Kindes zu sehen (Die echten, nicht die vorgegebenen. Ein Bedürfnis kann auch sein, gehalten zu werden, weil man außer sich geraten ist und wieder Halt sucht.).

Und noch einmal: Kinder beobachten Sie sehr genau, sie nehmen vieles wahr, was Sie nie für möglich halten würden.

Die Kinder ahmen die nach, die sie lieben. Ohne gutes Vorbild ist alle Erziehung nichts. Oder wie es Karl Valentin so schön formulierte: Erziehung ist zwecklos, die Kinder machen einem eh alles nach.

Zweifellos dürfen Sie Vorgaben machen. Sie sollten da, wo Sie es für richtig und sinnvoll erachten, auch sehr klar gegenüber den Kindern sein: „Es kann ja sein, dass bei Müllers täglich drei Stunden am Computer erlaubt sind. Aber wir sind ja auch nicht Müllers!“, „Vor dem Essen werden die Hände gewaschen. Das ist bei uns die Regel und gilt für alle.“

Sie sind erwachsen und müssen und sollen Dinge für Ihre Kinder entscheiden, für die sie noch nicht reif sind. Und da sollten Sie tatsächlich sicher sein. Wenn die Kinder merken, dass Sie nicht wirklich überzeugt sind, von dem, was Sie gerade fordern oder verbieten, merken das Ihre Kinder sofort und werden es weidlich ausnutzen. Das schließt nicht aus, dass Sie sich vom Kind nicht überzeugen lassen dürfen. Vielleicht hat es einmal mehr nachgedacht als Sie.

Auf jeden Fall ist es sinnvoll, vorher immer gut zu überlegen, was wichtig ist. Sonst fordert Ihr unentschlossenes Verhalten die Quengelei geradezu heraus.

Und dann haben diese alten Unken womöglich recht, die von den tyrannischen Kindern faseln und den Weltuntergang in der Erziehung prophezeien.

Diesen Beitrag haben wir dem Buch von Gabriele Pohl „Familie: Basislager für Gipfelstürmer“ entnommen. Die bekannte Pädagogin und Familientherapeutin sieht in der Familie das alte wie neue Zukunftsmodell unserer Gesellschaft. Hier entwickeln Kinder die Grundlagen für ihr ganzes Leben. Familie ist Basis und Ausgangspunkt unseres Daseins und der Sehnsuchtsort für ein Leben in Harmonie, Stabilität, Zuneigung und Zusammenhalt. Immer wieder befindet sich jedes Familienmitglied in einem Dilemma zwischen seinen eigenen und den Interessen der anderen Familienmitglieder. Es gilt, Kompromisse zu schließen und sich nach Auseinandersetzungen wieder zu vertragen. Vor allem wir Eltern müssen zurückstecken und fühlen uns oftmals wie in einem Hamsterrad. Wie es gelingt, uns aus den Zwängen des Alltags zu befreien und neue Wege zu gehen, zeigt Gabriele Pohl in diesem Buch. Sie hilft, neue Verhaltensweisen zu lernen, statt alte, überkommene Muster zu übernehmen. So gelingt es, sich den Tag zu erleichtern und zu verschönern. Damit ein heiterer und gelassener Familienalltag entsteht.

Gabriele Pohl
Familie: Basislager für Gipfelstürmer

Was Familien zukunftsfähig macht
224 Seiten, kartoniertes Buch
19,95 €
ISBN: 978-3.934333-75-8
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de



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