Vom Spiel zur Spielaktion – Eine psychomotorische Turnstunde

Das spielerische und freie Tun ist die maßgebende Zielsetzung. Auf der, hier nicht näher zu erörternden, Grundlage dieser Motopädagogik, sind die folgenden praxisnahen Berichte und Beschreibungen zu sehen.

Kinder im Kindergartenalter brauchen Gelegenheit für großräumige Bewegungen, mit einem großen Freiraum für spontanes und kreatives Handeln. Gerade in diesem Alter sind Kinder spiel-, experimentier- und bewegungsfreudig, lernbegierig und lernfähig. In der Turnhalle bietet sich die Möglichkeit, möglichst frei und selbstständig vielfältige Bewegungserfahrungen zu sammeln und Bewegungssicherheit zu gewinnen. Über die Bewegung setzt sich das Kind mit sich selbst und seiner Umwelt auseinander. Seine zunehmende Bewegungsfähigkeit ist ein wichtiger Beitrag für seine Persönlichkeitsentwicklung.

Vielleicht erscheint es einigen ErzieherInnen, PädagogInnen und BetreuerInnen von Kindergruppen unüblich, mit Vorschulkindern in eine Turnhalle zu gehen. Ich möchte aus eigenen Erfahrungen berichten und aufzeigen, wie viele Erfolgserlebnisse und Bewegungserfahrungen Kinder durch den Umgang mit Geräten in der Halle erfahren können, wie das Selbstbewusstsein gestärkt wird, wie Zutrauen und Vertrauen zu sich selbst und den eigenen Leistungen und Fähigkeiten aufgebaut und wie Angst und Unsicherheit durch das neu geschaffene Zutrauen abgebaut werden können.

Das erste Mal in der Turnhalle

Die Kinder kennen die Turnhalle nur von unseren Erzählungen, sind sehr aufgeregt und voller Pläne: Ganz hoch wollen sie klettern, die ganze Stunde schaukeln, mit den Rollbrettern (Flizzis) fahren, ohne dass gleich die nächste Wand sie stoppt. Von uns wissen sie, dass sie dort in der Halle machen dürfen, was sie wollen. Aber es gibt auch einige Regeln, die vorher besprochen worden sind: nicht von der Sprossenwand oder von einem Kasten oder Stufenbarren springen, ohne dass eine Matte darunter liegt. Niemanden von einem Gerät herunterschubsen.

Nachdem sich die Kinder so schnell wie noch nie umgezogen haben, stürmen sie in die Halle. Es entsteht ein ohrenbetörender Lärm. Wir rennen mit ihnen durch die Halle und kümmern uns um die Kinder, die dem Getümmel noch nicht so gewachsen sind. Bald sind die ersten Geräte, Weichböden, Taue entdeckt. Mit unserer Hilfestellung werden die ersten Aufbauten getätigt.

Zu Anfang geben wir Anregungen, Tipps, wie die Geräte aufgestellt werden können. Doch schon bald entwickeln die Kinder eigene Ideen und Vorstellungen, die sie umsetzen. So sind die verschiedensten Aufbauten zum Klettern, Rutschen und Springen entstanden. Alle Kinder sind eifrig dabei, die Geräte auszuprobieren.

Mit zwei Kästen, Matten und dem Schwungtuch haben wir eine Höhle als Rückzugsmöglichkeit für die Kinder geschaffen, die mal einen Moment Ruhe haben möchten.

In der einen Ecke entsteht ein Rollenspiel „Tiere im Wald“, wobei die Kästen und Matten als Höhle und die Bank zum Rutschen sich hervorragend mit einbeziehen lassen.

Zum Schluss räumen alle zusammen die Geräte wieder zurück, wobei natürlich einige Kinder immer wieder Gelegenheit finden, auf den Geräten zu turnen. Am Ende der Stunde machen wir Bewegungsspiele oder Angebote aus dem rhythmischen Bereich, um die Stunde gemeinsam in Ruhe zu beenden.

Nach dieser Stundenbeschreibung könnte der Eindruck entstehen, dass die Kinder während des Turnens tun und lassen können, was sie möchten und vom Betreuer vorher keine Zielsetzung und keine Stundenplanung über den Einsatz der Geräte und den Verlauf der Stunde vorgenommen worden ist. Deshalb möchte ich einige wichtige Vorüberlegungen zu einer Turnstunde aufzeigen.

Gespielte Förderung

Die Gestaltung einer Stunde ändert sich von Mal zu Mal durch das aktive Einbeziehen der Kinder und durch unseren gesteuerten Einsatz der Geräte. Nach jeder Stunde werden für die nächste Stunde von uns Schwerpunkte für die folgende Stunde gesetzt. Das heißt, dass die Kinder auch weiterhin ihre Ideen und Vorstellungen umsetzen können und wir diese mit aufgreifen. Aber es werden auch ganz gezielt Aufbauten oder Angebote zur Förderung und Stärkung der Muskeln (Fuß, Haltung), der Körperkoordination und des Gleichgewichts vorgenommen.

Anfangs sollte eine Auswahl an Geräteaufbauten stattfinden. Die Kinder wollen meistens alle Geräte auf einmal. Zu viele Aufbauten nebeneinander können auch hemmend wirken. Springen, Schaukeln, Laufen sind erst einmal die grundsätzlichen Bewegungsarten, die Kinder bevorzugen. Diese sollten am Anfang eingesetzt werden. Nach und nach andere Geräte einzusetzen, erhöht den Reiz des Neuen. Es ist ganz wichtig, vor und bei dem Aufbau einige Sicherheitsvorkehrungen zu beachten. Es müssen Bewegungsbereiche wie etwa Ballspielfläche, Rollbrettecke, Springen am Minitrampolin (Anlauf) ganz deutlich abgegrenzt werden.

Hierbei üben die Kinder das Planen der Aufbauten, bekommen eine Raumorientierung und üben das Einschätzen von Gefahren: z. B. kann nicht gleich hinter den Ringen, die Platz zum Schwingen brauchen, ein Aufbau stehen, der eine Anlaufstrecke benötigt, die zu den Ringen führt. Außerdem ist es unbedingt notwendig, immer einen Teil des Raumes zum Toben freizulassen.

Die Geräte und ihre Zusammenstellung zu Landschaften erfolgt erst, wenn die Kinder in der Turnhalle sind. Sobald die Kinder die Halle und die Bewegungsmöglichkeiten in ihr und an den Geräten kennengelernt haben, werden sie selbst angeregt, Bewegungsideen zu entwickeln und diese Ideen in Gerätearrangements einzubringen.

Durch das Miteinbeziehen entwickeln die Kinder eine Beziehung zu den Aufbauten und können nachvollziehen, wie aus Einzelteilen Gelegenheiten zum Springen, Klettern oder Rutschen entstehen können. Für Kinder stellen solche Aufbauten Bewegungsprobleme dar und sie werden zu einer Auseinandersetzung damit herausgefordert.

Bei einem Mattenberg versuchten die Kinder hinauf zu gelangen, sie probierten „Hinaufkrabbeln“ oder „Hochklettern“. Herunter kamen sie durch Springen oder „Herunterkrabbeln“.

Die Aufbauten sollten so gestaltet werden, dass sie zur Entwicklung von Ideen anregen und möglichst auch einen Eingriff zur Veränderung zulassen.

In einer Turnstunde geht es nicht darum, Fähigkeiten an Geräten zu vermitteln. Würde man versuchen den Kindern nahezubringen, wie man sich an bestimmten Geräten bewegen soll, würden die Kinder in ihrer Phantasie und ihrem Bewegungsdrang eingeengt und die soziale Dynamik einer Kindergruppe wäre nur auf die Anweisung der Betreuer/Erzieherinnen hin ausgerichtet.

Dies ist häufig das Problem im Schulsport Hier werden wenige Bewegungsmöglichkeiten angeboten, und genau vorgeschrieben, welche Bewegungsabläufe stattfinden sollen.

Der Reiz einer psychomotorischen Turnstunde liegt aber gerade in der Vielseitigkeit des Einsetzens der Geräte und des Miteinbeziehens der Kinder. Die Freude an der Bewegung, am Toben, am Wagen, stehen hier im Vordergrund. Welche Aufgaben, Funktionen hat der Erzieher während der Stunde?

Als Betreuer sind wir wichtige Bezugspersonen der Kinder und gestalten mit ihnen zusammen Bewegungsanlässe. Wir geben Hilfestellung beim Aufbau, regen an und motivieren, wo es nötig ist. Wir nehmen uns einzelner Kinder an und helfen bei Schwierigkeiten. Wir geben aber keine Bewegungsvorschriften. Direkte Eingriffe erfolgen nur, um Gefahren auszuschließen.

Wenn die Möglichkeit besteht, ist es sehr hilfreich, während der Stunde einige Beobachtungen anzustellen, die in die nächsten Stundenplanungen einbezogen werden können. Dazu folgende Anregungen:

  • Was tun die Kinder wo und wie lange?
  • Welche Veränderungen sind eventuell notwendig, um einige Kinder zusätzlich zu motivieren?
  • Was und wie lange tun die Kinder etwas gemeinsam?
  • Welche Konflikte und kritischen Ereignisse können auftreten, und wie kann der Erzieher darauf eingehen?
  • Welche neuen Aufbauten können erprobt werden, um neue Bewegungsanlässe zu geben und damit neue Erfahrungsmöglichkeiten zu eröffnen?
  • Welche Aufbauten sind geeignet, parallel aufgebaut zu werden, welche nicht?

Beobachtung des einzelnen Kindes

Anhand der Einzelbeschreibung eines Kindes möchte ich nochmals zeigen, welche Erfolgserlebnisse ein Kind innerhalb einer psychomotorischen Turnstunde erzielen kann. Florian (dreieinhalb Jahre) ist sehr ängstlich und zurückhaltend, aber voller Bewegungsdrang. Nur mit Hilfestellung der Mutter geht er zaghaft an die Geräte heran. Sie haben einen sehr großen Aufforderungscharakter für ihn und nach und nach wird er mutiger und klettert auf den Mattenberg. Wir ermuntern ihn immer wieder hinaufzuklettern, ohne ihn zu drängen. Er kann sich selbst seine Grenzen setzen und bestimmen, ob er sich weiter vorwagt oder nicht. Innerhalb der nächsten Wochen geht eine deutliche Veränderung mit ihm vor. Er wird wesentlich sicherer in seinen Bewegungen. Eine langsame Ablösung zur Mutter während der Stunde erfolgt durch das neu gewonnene Selbstbewusstsein (sie darf nun schon auf der Bank sitzen bleiben). Seine anfängliche Angst und Unsicherheit wird durch die Erfolgserlebnisse an den Geräten mehr und mehr abgebaut.

Diese Beobachtungen können wir in unseren Turnstunden immer wieder feststellen. Durch den angstfreien Umgang mit den Geräten, die einfach durch ihre vielseitige Zusammenstellung für die Kinder einen Aufforderungscharaker und Anreiz bieten, werden ängstliche Kinder über ihre Bewegung in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt. Überaktive Kinder können ihre motorische Unruhe ausleben, ohne gleich wieder in ihrer Bewegung durch Vorschriften eingeengt zu werden. Die Kinder werden nicht durch Leistungs- und Wettkampfdruck eingeengt. Im Folgenden finden Sie nun einige Anregungen und Möglichkeiten für Aufbauten in der Halle.

Praxisteil

Aus dem Angebot der Psychomotorischen Übungsgeräte möchte ich das Schwungtuch und die Flizzis/Rollbretter vorstellen:

In der Praxis haben sich diese Geräte als unerhört erfolgreich und vielseitig einsetzbar herausgestellt. Sie regen zum Spielen und Gestalten an, vermitteln vielfältige Erfahrensmomente im sozialen Bereich, locken spontane Bewegungsaktionen hervor, vermitteln Erlebensfreude und Erfolg und motivieren zum Lernen.

Das Schwungtuch

Das Tuch ist in verschiedenen Größen und Farben (weiß, rot) erhältlich, meist 5 mal 5 Meter und besteht aus reißfestem Gewebe. Durch seine Größe, seine Leichtigkeit und die Fähigkeit für verschiedene Flugbewegungen ist es ein unheimlich reizvolles Übungsgerät.

Für das Erlernen sozialen Verhaltens ist es sehr gut geeignet, da das Schwingen zu einem Zelt etc. nur gemeinsam passieren kann. Es eignet sich für das Sammeln von Gruppenerfahrungen genauso wie für Einzelaktivitäten.

Übungsbeispiele

  • das Tuch in der Gruppe schwingen, schweben lassen, sich darunter setzen und es auf sich fallen lassen
  • das Tuch hochschwingen und darunter laufen
  • sich zu mehreren unter dem Tuch bewegen
  • Bälle, Luftballons mit dem Tuch hochwerfen, auffangen
  • sich von der Gruppe auf dem Tuch im Sitzen, Knien, Stehen ziehen lassen, versuchen, aus dem Tuch zu krabbeln
  • Zelt, Höhlengänge mit dem Tuch gestalten.

Rollbretter

Sie bieten eine große Vielfalt an Bewegungsmöglichkeiten

  • Sie können einzeln und paarweise im Liegen, Sitzen und Knien vorwärts benutzt werden
  • paarweise können sich die Kinder im Raum ziehen oder schieben
  • Materialtransport

Hindernisbahnen

Aufgrund unserer Erfahrungen sind wir überzeugt, dass es sinnvoll ist, Bewegungsgelegenheiten zu schaffen, die ein eigenständiges Deuten der Geräte als Bewegungsgeräte ermöglichen. Tobe-, Bau- und Konstruktionsspiele, individuelle und gruppenbezogene Symbol- und Rollenspiele, R egelspiele, selbstständiges und angeleitetes Üben von Bewegungsformen: alles ist zugleich möglich und bietet eine Hülle von pädagogischen Ansätzen und Perspektiven.

 

Diesen Artikel haben wir aus dem Buch von Regina Grabbet mit dem Titel „Laufen, Toben, Springen ... Loben“ entnommen. Das Buch ist bei Burckhardthaus-Laetare erschienen:

Laufen, toben und springen – sehr oft mit Lärm verbunden – haben nicht nur den Zweck, den Bewegungsdrang der Kinder ausagieren zu lassen. Kinder erschließen sich die räumliche und soziale Welt, das Selbst und den eigenen Körper durch Bewegung. Erzieherinnen und Eltern finden hier eine profunde pädagogische Basis für den Bewegungsalltag mit Kindern. Erprobte Spielvorlagen führen dabei direkt in die Praxis.

Regina Grabbet
Laufen, Toben, Springen ... Loben
Bewegungsspiele in Kindergruppen
Broschur, 96 Seiten
ISBN: 978-3-944548-11-1
9,90 €

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