Verständnis und Verständigung als Schlüssel zum Glück

Grundlegende Regeln der Kommunikation

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Wie lernen wir, so zu sprechen, dass uns andere Menschen zuhören und verstehen? Die Sprache des Mitgefühls, die beschreibende Sprache, die eine neue Richtung weist, ist eine Sprache für alle, die miteinander umgehen und sich verständigen möchten. Und das gilt vom Erwachsenen-Kind-Dialog bis zum Gespräch zwischen Verhandlungspartnern auf höchster politischer oder wirtschaftlicher Ebene.

Aus dem eigenen Erleben heraus und auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ist die verständnisvolle und praktische Herangehensweise von Faber und Mazlish entstanden, die schließlich die Antworten auf zumindest drei der wichtigsten Fragen unseres Lebens beinhaltet:

  1. Wie schaffe ich es, dass mir Kinder zuhören?
  2. Was kann ich dazu tun, dass sich Kinder zu glücklichen und erfolgreichen Erwachsenen entwickeln?
  3. Wie lernen wir alle, miteinander zu leben?

Durch ein wenig Gelassenheit und das Beachten einiger grundlegender Regeln der Kommunikation erreichen Sie auf einem schnelleren Weg das Ziel vom Glück, als durch ständige Beobachtung und intensive Erziehungsarbeit.
So können Sie das Selbstbewusstsein von Kindern stärken, ihnen einen positiven Zugang zur Welt ermöglichen und ihr Verantwortungsgefühl fördern, ohne sich oder die Kinder unter Druck zu setzen.
(Die praktischen Beispiele, die oft aus dem Alltag von Eltern mit ihren Kindern stammen, lassen sich auf viele Situationen im Alltag von Erzieherinnen und Lehrern übertragen.)

Gefühle und Variationen

Hier erfahren Sie, wie Sie das verständnisvolle Zuhören je nach Situation variieren können. Und welche weiteren Möglichkeiten es gibt, mit den Gefühlen der Kinder umzugehen.

Lange Zeit waren wir uns sicher, dass das zentrale Thema einer menschlichen Beziehung darin bestand, einfach nur zuzuhören und die Gefühle eines Kindes anzuerkennen. Und im Wesentlichen war dem auch so. Aber mit der Zeit entdeckten wir, dass dieses Thema viele Variationen hatte und es nützlich war, sie alle zu kennen.

Variation 1

Manche Kinder zeigten ein so großes Bedürfnis danach, gehört zu werden, das die Fähigkeit ihrer Eltern zum geduldigen Zuhören überstieg. Wir mussten eine Möglichkeit finden, das Gespräch zu beenden und unseren Kindern dennoch zu zeigen, dass wir uns um sie sorgten.

Lee berichtete, dass sie zehn Minuten lang den Klagen ihrer Tochter darüber zugehört hatte, dass sie keine Rolle in der Aufführung des Schultheaters bekommen hatte.

„Ich versuchte, sie zu trösten“, sagte sie, „aber Susie schimpfte immer weiter. Es war zu viel für mich. Ich dachte mir: ‚Es ist Zeit, das zusammenzufassen und zu beenden.‘

‚Susie‘, sagte ich, ‚Ich höre, was du sagst. Du hast mir gesagt, dass du wirklich unbedingt eine Rolle in dem Stück wolltest. Du hattest das Gefühl, dass du genauso gut warst wie alle anderen, die vorgesprochen haben – vielleicht sogar besser. Ich verstehe das, aber ich kann nicht mehr zuhören. Ich gehe jetzt in die Küche und während ich das Abendessen vorbereite, werde ich wissen, wie enttäuscht und wütend du bist.“

Variation 2

Manchmal drückten die Kinder ihre Gefühle in einer Sprache aus, die so beleidigend war, dass wir nicht zuhören konnten – und erst recht nicht helfen. Jeder von uns hatte eine andere Toleranzschwelle. Aber gewisse Aussagen waren uns allen zu viel.

„Papi sieht wie ein alter Mann aus. Wieso muss ich so einen alten Papi haben?“

„Mein Lehrer ist ein dummer Arsch.“

Als Laurie zu Helen sagte: „Ich hoffe du stirbst“, erwiderte Helen: „Das ist nicht akzeptabel! Ich sehe, dass du wütend bist. Aber du musst eine andere Weise finden, es mir zu sagen. Und jetzt möchte ich für die nächste Stunde allein sein.“ Auf Lauries „Wieso?“ antwortete sie einfach: „Denk mal darüber nach!“

Variation 3

Manchmal half ein kleines Geschenk einem Kind in Not. Wir fragten nie, ob es das Geschenk wollte oder nicht. Wir gaben es ihm einfach. Einen neuen Buntstift, einen Luftballon, eine Tüte Rosinen zur rechten Zeit sprachen direkt zu seinem Herzen.

Als Roslyns fünfjähriger Sohn sich weinerlich beschwerte: „Mami mag alle lieber als mich“, legte sie ihren Arm um ihn und sagte: „Fühlst du dich ungeliebt? Es ist nicht schön, wenn man sich so fühlt – gar nicht schön. Ich glaube, jetzt ist ein guter Zeitpunkt für eine Umarmung und eine Tasse heiße Schokolade.“

Als Lees Sohn wegen einer winzigen Schramme, die ihm sein Bruder beim Raufen beigebracht hatte, hysterisch war, nahm Lee zwei Eiswürfel, wickelte sie in einen roten Waschlappen ein und gab ihm diesen, damit er ihn auf seinen „verwundeten“ Arm legen konnte.

Variation 4

Wenn ein Kind sich im Griff eines heftigen Gefühls befand, waren wir manchmal in der Lage, ihm dabei zu helfen, seine Gefühle auf kreative Weise abzureagieren. Dr. Ginott hatte gesagt, dass es einen Überfluss an Kreativmaterial im Haus geben sollte – Buntstifte, Bleistifte, Kreiden, Farben, Blöcke, Karton, Tafeln, Schachteln, Ton und so weiter. Die Frauen in unserer Gruppe hatten ihn wörtlich genommen. Es verging kaum eine Woche, in der wir nicht von einem Gedicht hörten, das geschrieben wurde, um die Trauer über eine verstorbene Schildkröte auszudrücken; einen Brief an einen Fernsehsender, um dagegen zu protestieren, dass eine Lieblingssendung aus dem Programm genommen wurde; oder ein wütend gezeichnetes Bild von dem Schläger in der Nachbarschaft.

Für das Kind, das entweder zu jung war oder nicht schreiben oder zeichnen wollte, konnten die Eltern als Sekretäre fungieren.

Evelyns siebenjähriger Sohn Stevie kam an einem Nachmittag wütend vom Schwimmunterricht nach Hause. Der Schwimmlehrer hatte ihm gesagt, solange er die 3-Meter-Rutsche am tiefen Ende des Beckens nicht benutze, würde er aus seiner Schwimmgruppe genommen und müsse ins Kinderbecken.

Während Stevie sich ausließ, nahm sein Vater leise einen Stift zur Hand und begann zu schreiben. Als Stevie innehielt, um Luft zu holen, sagte sein Vater: „Mensch, du musst heute ganz schön wütend auf den Schwimmlehrer gewesen sein. Hör dir an, was du gesagt hast: ‚Dieser Angeber denkt, er wäre der Chef von allen. Er ist so gemein, ich hasse ihn.‘“

Stevie hörte begeistert zu. „Genau“, sagte er ernst, „und schreib dazu, dass ich ihn von der Rutsche schubsen werde und ihm den Kopf unter Wasser halten werde, bis er ertrinkt.“

Sein Vater schrieb, so schnell er konnte.

„Jetzt schreib, dass ich den Stöpsel aus dem Schwimmbecken ziehen werde, und das ganze Wasser wird durch das Loch verschwinden und er auch.“

Dieser Gedanke wurde ebenfalls auf die Liste gesetzt. Als sein Vater ihm seine ganze Ansprache vorgelesen hatte, nickte Stevie energisch und bat darum, es noch einmal zu hören.

„Hier“, sagte sein Vater und gab ihm das Blatt Papier. „Du kannst es behalten und lesen, wann immer du willst. Jetzt muss ich einen Brief schreiben. Bitte gib ihn morgen dem Schwimmlehrer. Ich werde schreiben: ‚Mein Sohn Steven muss – egal unter welchen Umständen – nicht auf die 3-Meter- Rutsche, bis er das Gefühl hat, dass er so weit ist.‘“

Variation 5

Es gibt Raum und Zeit, nicht zu verstehen, nicht in Verbindung zu sein, nicht zu wissen, was ein Kind fühlt. Dr. Ginott beschreibt dies als „jedem Kind seinen Winkel in der eigenen Seele lassen".

Ich kann mich noch immer erinnern, wie meine vierjährige Jill auf dem Bett lag, an ihrem Finger nuckelte und mich anstarrte.

„Weißt du, was ich denke?“, fragte sie.

„Nein“, antwortete ich.

„Das ist gut“, sagte sie und steckte sich den Finger wieder in den Mund.

Variation 6

Es gibt einen Platz im Leben eines Kindes für den Trompetenstoß, der seinen Mut heraufbeschwört – seinen Kampfeswillen. Wir nennen das „die ermutigende Botschaft“. Es ist nicht die übliche Aussage von Eltern, die ihre Kinder ermutigen und ihnen eine Rüstung verpassen wollen, um der harten Realität der Wirklichkeit zu begegnen. Es ist nicht das kalte, unpersönliche: „Starkes Kind, du wirst dich durchbeißen“, sondern die mitfühlende Bestätigung: „Ja, es ist schwer. Ich respektiere deine Probleme und glaube daran, dass du einen Weg finden wirst.“

Zum Beispiel sagte Helen zu Laurie: „Selbst wenn deine Lehrerin dir gegenüber sarkastisch ist, lernst du doch etwas von ihr – trotz ihres unangenehmen Verhaltens!“

Und Ted sagte zu Andy: „Ich habe gesehen, wie du das Kind ignoriert hast, das dich aufgezogen hat, weil du nicht größer bist. Ich nehme an, du weißt, dass wir in dieser Familie an einer Person nicht die Größe, sondern den Charakter schätzen.“

Aber das Beispiel, das mich am meisten bewegt hat, betrifft Nell, die ihren Mann wenige Monate zuvor verloren hatte. In einer unserer Sitzungen berichtete sie von einem Problem nach dem anderen, und zu keinem schien es eine Lösung zu geben. Ihr Sohn fühlte sich elend, weil er keinen Vater hatte. Er beschwerte sich pausenlos, gab sogar ihr die Schuld an seiner Misere. Sie fühlte sich hoffnungslos.

In der folgenden tiefen Stille warteten wir darauf, dass Dr. Ginott den Balsam des Mitgefühls auftragen würde. Wir erschraken, als er sie intensiv anblickte und sagte: „Nell, lassen Sie sich vom Leben nicht besiegen.“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen und jemand wechselte unauffällig das Thema.

In der nächsten Woche sah Nell verändert aus. Helen fragte sie, wie es lief. „Ich bin nicht sicher“, sagte sie, „aber etwas hat sich verändert. Als Kenneth das letzte Mal angefangen hat sich zu beschweren, hielt ich ihn auf. Ich sagte: ‚Kenneth, ich weiß, dass es nicht leicht für dich ist, seit Papa gestorben ist. Wir sind jetzt nur noch zu zweit in der Familie und wir wünschten, es wäre anders. Aber ich glaube, es ist für uns beide an der Zeit, dass wir anfangen, darüber nachzudenken, wie wir zu zweit das Beste aus der Sache machen können!‘“

An diesem Nachmittag mähte Kenneth, ohne ein Wort seiner Mutter, den lange vernachlässigten Rasen.

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Entspannte Eltern - entspannte Kinder
Verständnis und Verständigung als Schlüssel zum Glück
Adele Faber, Elaine Mazlish
Oberstebrink
272 Seiten, 19,95 €
ISBN: 9783934333642

Mehr auf www.oberstebrink.de



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