Gastbeitrag: Alltag im bilingualen Kindergarten in Berlin-Mitte: Inklusion auf allen Ebenen

Wie sieht eigentlich der Alltag in einem bilingualen Kindergarten aus? Wie viel ist dran an dem Klischee eines elitären Kindergartens für überengagierte Eltern? Auf diese Fragen wollten wir unbedingt Antworten und haben Katharina Ehrenfried zu einem Gastbeitrag überredet. Die Pädagogin leitet zusammen mit ihrem Kollegen Matt Carlyle den bilingualen BCS Kindergarten in Berlin.

Unser BCS Kindergarten und unsere Preschool ist ein Haus für 320 Kinder und ihre Familien und circa 85 Mitarbeiter*innen zwischen 18 und 63 Jahren in Berlin Mitte. Jedes Jahr begrüßen wir 100 neue Kinder verschiedener Altersgruppen, mindestens 50 % davon haben eine nicht-deutsche Herkunftssprache. Mindestens 30 % der Kinder haben weder deutsch noch englisch als Heimatsprache. Es gibt Kinder, deren Eltern hebräisch und italienisch sprechen, die zwar in Berlin geboren sind, aber bevor sie in den Kindergarten kommen, noch kein Wort in deutscher Sprache sprechen. Manche Eltern kommen als Tänzer*innen an das Ballet und ihre Kinder sind nur eine Saison im Kindergarten. Manche Kinder haben eine Mama und einen Papa. Manche zwei Mamas oder Papas oder auch eine Mama oder einen Papa, die Vielfältigkeit der Familienstrukturen kennt keine Grenzen.

Viele Familien sind hypermobil und die Kinder werden aus einer vertrauten Umgebung in ein neues System umgesiedelt. Manche Familien haben Fluchterfahrung. Es gibt Eltern, die mit Stipendien ein Studium absolvieren, das sie nicht im eigenen Land absolvieren könnten. Einige Eltern kommen aus einer weniger kindzentrierten und gewaltorientierten oder diktatorischen Gesellschaft, die von Auseinandersetzungen geprägt ist und suchen für ihre Kinder einen Platz, wo gewaltfreie und vorurteilsfreie Erziehung und Bildung stattfinden kann.

Kinderzeit-Podcast: Mehrsprachigkeit in der Kita

Wir sind alle lebenslang Lernende

Kinder kommen mit vielen verschiedenen Heimatsprachen und -kulturen in eine weltoffene und den Kindern zugewandte Einrichtung. So hat sich ein Kind nach dem Wechsel zum BCS Kindergarten, sich sicher genug gefühlt, ihre Familientradition Hanukkah zu feiern, im Morgenkreis sehr offen zu präsentieren. „Das hatte sie sich im alten Kindergarten nicht getraut. Sie fühlte, dass ihre Familienkultur nicht willkommen war“, erzählte die Mutter des Mädchens mir. Konstitutionell kann eine frühe Eingliederung in eine fremde Kultur wachsen, sowie Neugierde, Toleranz und Respekt.

Der BCS Kindergarten und Preschool ist ein internationaler zweisprachiger Ort (Deutsch und Englisch). Das Anliegen der Berlin Cosmopolitan School-Community ist, international denkende, akademisch erfolgreiche und ausgeglichene lebenslang Lernende zu fördern. Dieses Anliegen erreichen wir durch forschendes Lernen, innovative Methoden, die Einbindung der Gemeinschaft und durch einen spielerischen Ansatz, der sich auf die persönliche, soziale, emotionale und körperliche Entwicklung der Kinder konzentriert.

Nach den Corona-bedingten Schliessungen und langen Zeiten der Isolation von Familien haben zum Beispiel Pädagog*innen eine Stagnation der motorischen Entwicklung sowie einen vermehrten Bewegungsdrang bei den Kindern bemerkt. Deshalb haben alle Pädagog*innen eine Einführung zum Kinderyoga bekommen, um so den Kindern körperliche und mentale Abwechslung zu bieten, die wieder zu mehr Ruhe und Gelassenheit führt. „Ich bin froh, dass ich meine Yoga-Erfahrungen mit Kindern und Kolleg*innen teilen kann“, freut sich Sarah Hochstein, eine trainierte Kinderyogatrainerin und Erzieherin im Kindergarten. Sehr viele motivierte und engagierte Fachkräfte teilen in kleinen Miniworkshops ihre Talente und Erfahrungen, so dass sich auch das pädagogische Team als lebenslang Lernende versteht.

Inklusion in kontinuierlichen Gruppen

Im Kindergarten sind und bleiben die Kinder von Anfang bis Ende Ihrer Zeit im Kindergarten und der Preschool Teil einer Gruppe, mit der sie sich jeden Tag austauschen und weiterentwickeln. Das pädagogische Angebot beinhaltet eine tägliche Routine, die sich flexibel an die Bedürfnisse der einzelnen Gruppen anpasst. Dies ermöglicht es, die im Bildungsplan festgelegten Ziele zu erreichen und sich gleichzeitig an die Anforderungen des Alltags anzupassen. Der Gruppenraum ist so gestaltet, dass er den unterschiedlichen Bedürfnissen des Alltags gerecht wird.

Neben ihrem „Klassenzimmer“ besuchen die Kinder auch andere Räume im Gebäude (Bibliothek, Tanz, Musik, Bewegung, Kunst, Naturwissenschaften, u.a.). In diesen Räumen werden verschiedene Aktivitäten entwickelt. Als letzten Zusatz zur Ausstattung hat der Kindergarten mit Unterstützung des „Gute-Kita Gesetzes“ zwei Holzwerkbänke angeschafft. Gemeinschaftlich legen die Beteiligten die Regeln fest, damit die Werkbänke sicher und kreativ genutzt werden können. „Ich kann kaum erwarten, gemeinsam mit den Kindern Naturmaterialien zu sammeln und diese dann gemeinsam hier im Kindergarten in Mitte zu bearbeiten“, meint Michael Habekost, der Gruppenpädagoge einer Vorschulklasse, die er bereits seit der Eingewöhnung vor fünf Jahren begleitet.

Im Kindergarten und in der Vorschule legen Pädagog*innen großen Wert auf die Entwicklung der Lese- und Schreibfähigkeit der Kinder. Dies wird unter anderem durch viele bilinguale Bücher mit diversity-sensitivem Inhalt erreicht, die in den verschiedenen Räumen in unterschiedlichen Zusammenhängen genutzt werden können. „Eine vielfältige Auswahl von Kinderliteratur unterstützt uns bei der Umsetzung unseres diversity sensitiven Curriculums, das aus dem Anti-Bias Approach entwickelt wurde“, meint Dr. Mariana Manzo, diversity sensitive Curriculum Coach. „Jedes Kind soll die Möglichkeit haben, sich in einem Buch zu spiegeln, ein Buch als Fenster oder Durchgangstür in eine andere Lebensrealität zu nutzen.“

Inklusion bedeutet in diesem Zusammenhang weit mehr als nur Kinder mit einer Beeinträchtigung oder Behinderung in eine Regelgruppe einzubeziehen. Die Chancen inklusiver Bildung zeigen sich tagtäglich, wenn Kinder unterschiedlichster kultureller Hintergründe gemeinsam spielen und lernen. Pädagog*innen fördern und fordern die Kinder so, dass Gemeinschaft entsteht und alle voneinander lernen. Dabei wird jedem Kind die nicht verhandelbare Möglichkeit eingeräumt, sich frei zu entwickeln. Die Akzeptanz unterschiedlicher Sprachen und Traditionen auf Augenhöhe steht dabei im Vordergrund. Toleranz erwächst aus Wissen.

Im Kindergartenalltag spielt die Beobachtung und Auseinandersetzung mit kindlichen Bedürfnissen eine große Rolle. Die Planungsgrundlage für die pädagogische Arbeit ist die Beobachtung des einzelnen Kindes und der Kindergruppe. Davon ausgehend werden Projekte gestaltet und Räume den Bedürfnissen angepasst. Kinder gehen mit Feedback zu Pädagog*innen, der Kindergartenleitung oder diese bitten Kinder um Feedback. Tanya Diaz, eine Sonderpädagogin aus den USA, unterstützt mit Coaching-Sessions die multiprofessionellen Teams bei der Umsetzung des inklusiven Ansatzes: „Das Konzept ist simpel, allerdings sehr verzwickt in der Umsetzung. Aber gemeinsam mit Sachlichkeit und Humor schaffen wir das sicher.“

 

Der Kindergarten als zentrale Community

Kindergarten ist eine zentrale Anlaufstelle für Familien, da viele auch weit weg vom sozialen Mittelpunkt ihrer Heimat leben. In unserem Kindergarten kommt uns eine weitere Vermittlerrolle zu. Wir bieten den Familien Beratung zu allen Fragen an, die sich aus der jeweiligen familiären Situation ergeben. Von den Kontaktdaten englischsprachiger Ärzt*innen und Therapeut*innen über die Begleitung zu Gesundheitsdiensten bis zu Workshops zu den verschiedensten Themen aus den Bereichen kindliche Entwicklung und Pädagogik reicht das Informationsangebot. Dabei arbeiten die Pädagog*innen eng mit den verschiedenen Ämtern zusammen. Auch die Partizipation in den regionalen Netzwerken zu Integration und Förderung ist selbstverständlich. Eine enge Zusammenarbeit gibt es auch mit der Senatsverwaltung, den Behörden, Kinderärzt*innen und Spezialist*innen sowie dem Kiez um den Kindergarten.

An der BCS gibt es regelmäßig auch kulturelle Angebote für, von und mit Mitgliedern unserer Community. Diese tragen dazu bei, den Familien eine Plattform zum Kennenlernen zu bieten und machen Angebote innerhalb der Stadt bekannt. Die Ausflüge der einzelnen Gruppen führen, je nach Entwicklungsstand der Kinder, auch zu Aufführungen des Ballettes oder der Oper, zu Bauernhöfen oder der Keramikwerkstatt, zu Indoorspielplätzen und in Museen. Bei der Planung spielen aktuelle pädagogische Themen eine ebenso große Rolle wie die Bedürfnisse der Kinder. „ Mein absolutes Highlight im Jahresverlauf ist der international Day – ein Tag an dem alle Familien ihre Heimat- oder Wunschheimatkultur vorstellen“, schwärmt Matthew Carlyle, Leitung des Kindergartens.

Eltern unterstützen mit ihren Fragen die Weiterentwicklung und Vertiefung des Konzeptes. Eine Eltern-Initiative hatte sich beispielsweise mit der Nachtischkultur auseinandergesetzt und befand, dass es zu viele Nachtische für die Kinder gebe. Dies wurde mit Küche und Pädagog*innen diskutiert und es wurde beschlossen, die Zahl der Nachtische zu reduzieren. Eine Abordnung der Kinder hatte sich daraufhin geformt und diese sind zur Kindergartenleitung gegangen und haben eine Revision des Beschlusses gefordert. Dies wurde den Eltern vorgetragen und es wurde eine individuelle Lösung für verschiedene Nachtische gefunden.

Multiprofessionelles und diverses Team

Unser gesamtes Team ist multiprofessionell und sehr divers. Diese beiden Faktoren sind Erfolgsgaranten für eine pädagogische Arbeit, die alle Bereiche des menschlichen Lebens einbezieht. Die pädagogischen Diskussionen, wenn es z. B. um sexualpädagogische Entwicklung im Kindesalter geht, sind zwischen Schweden, Kenia, Neuseeland, Griechenland, Polen und Deutschland sehr divers und von gegenseitigem Verständnis, Akzeptanz und Offenheit geprägt. Die pädagogische Diskussion ist sehr präsent und Handlungen werden reflektiert und hinterfragt. Immer wieder empfinden die Pädagog*innen diese große Vielseitigkeit als Bereicherung.

Die Kindergartenleitung ist ein Tandem mit Unterstützung durch mehrere Spezialisten und Koordinatoren. Die Hierarchie ist sehr flach und jede Idee aus dem Team und pädagogische Frage sind es wert, reflektiert und besprochen zu werden.

Über die Autorin

Katharina Ehrenfried lebt mit Partner, zwei Kindern und zwei Vögeln in Berlin. Sie hat einen Universitätsabschluss in Kultur- und Erziehungswissenschaften (Universität Hildesheim) und Management sozialer Einrichtungen (Berlin). Sie arbeitet mit Leidenschaft und Passion als Leiterin des internationalen BCS Kindergartens & der Preschool mit Diversity sensitivem Programm in Berlin.
 
Sie lebte und arbeitete in den USA, Frankreich, Kolumbien und Großbritannien. Katharina arbeitete in Kindergärten, öffentlichen Schulen, Montessori- und Waldorfschulen mit behinderten und nicht behinderten Kindern, mit älteren Menschen, Erwachsenen sowie Jugendlichen.
 
Sie setzt sich leidenschaftlich für die Professionalisierung des diversitätssensiblen Ansatzes in der Frühpädagogik ein. Sie hat über 15 Jahre lang mit international ausgerichteten Familien gearbeitet. Diese Erfahrung hat sie dazu gebracht, neue Konzepte auf dem Gebiet der diversitätssensiblen Differenzierung in Partnerschaft mit Eltern, Bezugspersonen und Kindern zu entwickeln. 

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