Eingewöhnung in die Krippe - das Berliner Modell der Kleinkindpädagogik

Eingewöhnung ist häufig für alle eine Stresssituation. Aus diesem Grund sollte die Gestaltung der Eingewöhnung alle Beteiligten berücksichtigen: die verantwortlichen familiären Betreuungspersonen, das Kind, die Gruppenerzieherin und die Kindergruppe.

Die Eingewöhnung darf sich nicht nur auf das Kind beziehen, denn man hilft ihm wenig, wenn man nur auf seine Bedürfnisse eingeht, an die beteiligten Erwachsenen aber lediglich Forderungen stellt und ihnen über ein "Eingewöhnungsprogramm" Anweisungen für ihr Verhalten gibt. Einem solchen
programmatischen Ansatz (z.B. Laewen u.a., 1992) liegt ein Bild des Kindes zugrunde, das dieses als hilflos betrachtet. Mutter und Familie werden idealisiert, während außerfamiliäre Betreuung zumindest implizit als Risiko für eine ungestörte und gesunde Entwicklung des Kindes betrachtet wird. Im hier vorgestellten Ansatz geht es ganz wesentlich darum, alle an einer Eingewöhnung beteiligten Eltern und Erzieherinnen zu unterstützen: Sie sollten nicht noch weiter durch Instrumentalisierung für die Eingewöhnung des Kindes und Hinweise auf Risiken durch Fremdbetreuung für den Fall, dass sie Anweisungen nicht befolgen, belastet werden. 

Das soziale Netz der Eltern
Die Eltern sind Teil eines sozialen Netzes, das sich aus der eigenen biologischen Familie, Verwandten, Freunden und Nachbarn zusammensetzt. Wenn es irgend möglich ist, sollte man besonders alleinerziehende Elternteile ermutigen, die Last der Trennung nicht in Isolation zu tragen, sondern von ihrem sozialen Netz Gebrauch zu machen (z.B. von einem Partner, von Verwandten oder Freunden).
Eine weitere Quelle des sozialen Umfeldes, die meines Wissens nur selten unterstützend genutzt wird, sind Eltern von anderen Krippenkindern, besonders solche, die die Erfahrung der Eingewöhnung bereits gemacht haben und bereit sind, eine unterstützende Rolle für die neuen Eltern zu übernehmen.

Das soziale Netz der Krippenbetreuerinnen
Das Team als soziales Netz der Krippenbetreuerinnen kann die einzelne Betreuerin in der Eingewöhnungssituation unterstützen. In informellen Gesprächen und Teamsitzungen kann die betroffene Betreuerin ihre Erfahrungen mit Kolleginnen austauschen und dadurch emotionale Unterstützung und Perspektiven für ihr eigenes Verhalten gewinnen sowie neue Ideen und Ermutigung schöpfen. Auch die Leitung kann dabei eine wichtige unterstützende Rolle spielen.
Diese Empfehlungen setzen allerdings voraus, dass es keine gravierenden Team- und Autoritätskonflikte in der Einrichtung und keine ausgeprägte Intoleranz für neue Ideen gibt.
Die Vorbereitung der Erzieherinnen zur Gestaltung der Eingewöhnung Als erster Schritt erscheint  eine Fortbildung des Personals der Kindertagesstätte hilfreich. In dieser Fortbildung sollte die Konzeption der Eingewöhnung vorgestellt und diskutiert werden. Ein zentrales Thema ist dabei die generelle
Bedeutung einer kürzeren oder längeren zur Verfügung stehenden Zeit für die Anpassung oder für den Umgang eines Menschen mit wichtigen Veränderungen in seiner sozialen Umwelt. Ein zweites wichtiges Thema sind die gesellschaftlichen Vorurteile gegen außerfamiliäre Tagesbetreuung für Kinder in den ersten Lebensjahren und Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zu diesem Thema.

Empfehlungen für das Verhalten der Erzieherin
Bei den ersten Kontakten eröffnet die Erzieherin das Gespräch mit der Mutter. Es werden Informationen ausgetauscht, z.B. wie ein typischer Alltag mit dem Kind in der Familie aussieht und wie ein typischer Alltag mit den Kindern in der Krippe aussieht. Die Erzieherin kann zu diesem Zeitpunkt Informationen über den Tagesrhythmus und Erfahrungen des Kindes zu Hause sammeln, sowie über besondere Vorlieben und Abneigungen des Kindes und der Mutter. Allerdings braucht besonders eine Erzieherin mit geringer Berufserfahrung Unterstützung für die Entwicklung von Kompetenzen im Bereich der Elternarbeit. Es ist nicht notwendig, dass ein Fachexperte für diese Unterstützung eingeschaltet wird.
Wichtig ist, dass sich die Erzieherin in dieser Situation nicht von ihren Kolleginnen und der Leiterin allein gelassen fühlt. Im Gruppenraum ist eine freundliche Interaktion zwischen Erzieherin und Mutter wichtig. Allerdings sollten Erzieherin und Mutter sich nicht miteinander unterhalten, während das Kind sich an die Mutter klammert. Für den Aufbau der Beziehung zum Kind ist es empfehlenswert, dass die Erzieherin anfänglich nur indirekten Kontakt mit ihm aufnimmt. Das kann auf verschiedene Art und Weise geschehen: auf die Signale des Kindes reagieren, dem Kind ein von ihm bevorzugtes Spielzeug hinlegen, ein Namensspiel mit der Kindergruppe initiieren, in welchem der Name des einzugewöhnenden Kindes mit einbezogen wird, um ihm so zu vermitteln, dass es in der Gruppe der anderen Kinder angenommen wird. Es ist ratsam, dass die Erzieherin einige Tage verstreichen lässt, bevor sie Körperkontakt mit dem Kind herstellt. Wenn das Kind sich verletzt hat, weint oder traurig ist, kann die Erzieherin, wenn die Eltern nicht anwesend sind, dem Kind Nähe und Trost durch Körperkontakt anbieten. Eine weitere Gelegenheit dazu ist der Abschied der Eltern, wenn die Erzieherin das Kind in die Arme nimmt und es solange hält, bis sich das Kind von selbst loslöst, was gewöhnlich nach einigen Minuten geschieht. Sie kann die Beziehung zwischen dem neuen Kind und der Kindergruppe am effektivsten fördern, wenn sie sich auf die von den Kindern hergestellten Kontakte konzentriert und sie Interaktionen zwischen den Kindern durch positive Zuwendung, durch das Anbieten von fehlendem Material oder durch Umgestaltung der räumlichen Bedingungen ermöglicht und erleichtert.

Die Kindergruppe
Kinder und die Kindergruppe bieten dem Eingewöhnungskind ganz andere Möglichkeiten als Erwachsene. Sie sind nicht so groß und mächtig wie erwachsene Betreuerinnen, und daher weniger bedrohlich. Kinder ertragen und lernen Konflikte viel leichter mit anderen Kindern als mit Erwachsenen zu lösen. Die Vermittlung positiver und negativer Gefühle von anderen Kindern hat eine weniger intensive Auswirkung auf das Kind, als dieselben Erfahrungen, besonders mit Erwachsenen, mit welchen das Kind eine enge Beziehung hat. Selbst Aggressionen, obwohl sie Weinen auslösen, sind von einem anderen Kind weniger bedrohlich als Aggression in der Form von Ablehnung oder
Beschämung von einem vertrauten Erwachsenen.

Empfehlungen an die Leitung und an das Team der Kindertagesstätte

Es sollte der Mutter nahegelegt werden, mit ihrem Kind regelmäßig zu einer gewissen Zeit in die Kindertagesstätte zu kommen. Wenn es nur eine Erzieherin für die Gruppe des Kindes gibt und mehr als ein Kind in derselben Woche eingewöhnt werden muss, dann ist es ratsam, dass die Mütter und ihre Kinder zumindest während der ersten zwei Wochen zu unterschiedlichen Zeiten anwesend sind. Die Erzieherin braucht Unterstützung während der Eingewöhnungszeit: wenn die Eingewöhnungsmutter mit ihrem Kind nicht zurecht kommt und Zuwendung und Hilfe braucht; wenn die Mutter kurz den Raum verlässt und jemanden braucht, mit dem sie reden möchte; wenn die Kinder sehr ausgelassen und schwer zu beruhigen sind; wenn ein Kind sich verletzt hat und die volle Zuwendung der Erzieherin braucht. In solchen Situationen sollte die Leiterin oder eine Vertretungskraft in der Lage und bereit sein auszuhelfen. Urlaub der betroffenen Erzieherin, Fortbildung außer Haus und Eingewöhnungswochen sollten womöglich langfristig so geplant werden, dass sie nicht überlappen. Wenn es irgendwie möglich ist, sollten Kinder aus anderen Gruppen, deren Erzieherin z.B. erkrankt ist, nicht in die Gruppe, in der Eingewöhnung stattfindet, verteilt werden. Mutter und Kind sollen erst nach Vertrautwerden mit der Situation, d.h. der Erzieherin, den anderen Kindern, der Leiterin und den anliegenden Räumlichkeiten den Übergang zum Frühdienst machen. Während der Eingewöhnungszeit ist es ratsam, größere Veränderungen auf ein Minimum zu reduzieren. Beispiele hierfür sind eine neue Raumgestaltung,
Umzug in andere Räume u.ä. Auch sollte das Eingewöhnungskind anfänglich nicht genötigt werden, körperliche Gewohnheiten zu ändern, z.B. seine Kleidung wechseln, mit den anderen Kindern baden u.ä.

Auszüge aus dem Berliner Modell der Kleinkindpädagogik
Ein Modell zur Unterstützung der aktiven Auseinandersetzung aller Beteiligten mit Veränderungsstress
von E. Kuno Beller
Dieses Modell - Berliner Modell der Kleinkindpädagogik - wurde in großangelegten Projekten in Berlin und München auf seine Effektivität empirisch evaluiert. Damit erhielt das Modell ein wissenschaftlich gestütztes Fundament. Gestützt auf das Berliner Modell der Kleinkindpädagogik werden Fortbildungen für Betreuer und Erzieher von Kleinkindern in Kindertagessätten auf nationaler und internationaler Ebene, z.B. Dänemark, Schweiz, Italien, Spanien, durchgeführt.



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