Die Entwicklung in den ersten drei Lebensjahren

©Bananenblau Verlag

Das erste Lebensjahr

Ein Neugeborenes erlebt die Welt, wie wir den Mond bei einem ersten Besuch dort erleben würden. Alles ist neu, muss entdeckt und erkundet werden. Aus den Erkundungen werden Gesetzmäßigkeiten abgeleitet und Erwartungshaltungen gebildet, die immer wieder überprüft werden müssen. Zum Beispiel verstehen Kinder sehr früh, dass Dinge nach unten fallen. Sie beobachten dieses Phänomen immer wieder und fordern das Hinabfallen geradezu heraus, wenn sie mit Gegenständen hantieren. Doch plötzlich registriert das Kind erstaunt und überrascht, wie ein mit Helium gefüllter Ballon in den Himmel fliegt. Durch Beobachtung, Thesenbildung und –überprüfung lernt das Baby die Welt kennen.

Babys können schon sehr früh zwischen sich selbst und anderen unterscheiden. Die soziale Entwicklung des Kindes macht den ersten großen Schritt, wenn Babys sich von ihrer Bezugsperson als getrennt wahrnehmen und sich als Verursacher eigener Handlungen erkennen können. Das Baby hat erfahren, dass der Kuschelball klingelt, wenn es dagegen stößt und versucht diesen Effekt immer wieder hervorzurufen, indem es mit den Armen wedelt.

Babys lernen früh, zwischen Personen zu unterscheiden und können sich vertrauten Personen zuwenden. In der weiteren Entwicklung dieser Fähigkeit, in der Regel in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres, fremdeln viele Kinder.

Zum Ende des ersten Lebensjahres beginnen die Kinder auszuloten, wie weit sie sich von der Mutter oder vom Vater entfernen können. Sie nutzen die wachsende Mobilität, die es dem krabbelnden und laufenden Kind ermöglicht, sich von den Bezugspersonen zu entfernen und zurückzukehren. Die wachsenden Erkenntnisse über die Welt und ihre physikalischen Grundfunktionen, die wachsende Kontrolle über den eigenen Körper und das Urvertrauen in die sich stets in der Nähe aufhaltenden Bezugspersonen machen es dem Kind möglich, zum Ende des ersten Lebensjahres eine basale Identität auszuprägen. 

Ratschlag für das erste Lebensjahr – Reden, Reden, Reden

Es ist absolut wichtig, mit kleinen Babys zu sprechen. Reden Sie mit dem Kind also bei jeder Gelegenheit. Auch wenn es nicht antworten kann und Sie erhebliche Zweifel daran haben, dass es die Inhalte Ihrer Rede versteht – Das Kind braucht Ihre Stimme und Ihre Worte.

©Bananenblau Verlag

Das zweite Lebensjahr

Kinder im zweiten Lebensjahr gehen weiter den Gesetzmäßigkeiten der Welt auf den Grund. Sie beobachten die Erwachsenen und versuchen über Nachahmung und symbolisches Handeln den sie umgebenden Gegenständen Bedeutungen zuzuordnen. 

  • Wie funktioniert der Schlüssel, was macht Mama mit dem kleinen Kasten, in den sie hineinspricht oder auf dem sie herumtippt?
  • Was lässt sich alles in einem Kühlschrank oder in einer Handtasche entdecken?
  • Was lässt sich wie ordnen, was erzeugt welche Klänge, welche Raumerfahrungen lassen sich machen?
  • Kleinkinder spielen so gern am Wasserhahn, denn Wasser fällt nach unten und bildet die perfekte Falllinie.
  • Sie laufen in Räumen im Kreis, um Raumerfahrungen zu sammeln.
  • Sei schlagen Dinge gegeneinander und vergleichen die Geräusche.

Dies alles sind wichtige Tätigkeiten der kleinen Kinder, weil sie mit ihrem eigenen Körper und der Welt spielen.

Sie sind dabei wenig an anderen Kindern interessiert. Sie sehen sie eher als Ding und behandeln sie auch so. Deshalb ist es möglich, dass in Krippengruppen mit Ein- bis Zweijährigen häufig gebissen oder unkontrolliert gehauen wird. Dieses ruppige Verhalten von einjährigen Kindern untereinander ist nicht als böse oder unsozial einzustufen. Es gehört zu ihrer Welterkundung, die sich bis zum Ende des zweiten Lebensjahres vorrangig auf den eigenen Körper bezieht.

Am Ende des zweiten Lebensjahres erlebt das Kleinkind ein überdimensionales Autonomie- und Omnipotenzgefühl Das Kind strotzt vor Welterfahrung und positiven Emotionen über das eigene Können und Lernvermögen. Es verteidigt aus dieser Position heraus seine vermeintliche Unabhängigkeit. „Allein“ ist ein Aufschrei, den Eltern von Kindern in diesem Alter häufig zu hören bekommen.

Ob es sich um das Eingießen von Getränken am Esstisch, das Anziehen oder das Öffnen von Türen handelt – das Kind will es alleine tun. Es nimmt keine Rücksicht darauf, ob es die für die jeweilige Handlung benötigte Fähigkeit schon jetzt besitzt oder nicht. In diesem Alter kommt es häufig zu Wutausbrüchen oder einem störrischen Verhalten. Das liegt daran, dass das Kind nun in der Lage ist, die Grenzen seiner vermeintlichen Allmacht zu erkennen und darauf mit Wut und Enttäuschung reagiert. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres beginnt das Kind in seinen sprachlichen Äußerungen zwischen „ich“ und „du“ zu unterscheiden. Diese erste Form der Abgrenzung des eigenen Ich von dem sozialen Umfeld ist ein großer Schritt in der menschlichen Entwicklung.

Ratschlag für das zweite Lebensjahr – Ordnung und Rituale schaffen

  • Schaffen Sie Ordnungssysteme im Gruppenraum, die es dem Kind erleichtern, selbst Ordnung zu schaffen.
  • Spielzeuge sollten nur in überschaubarer Anzahl vorhanden sein und Ihren festen Platz haben.
  • Auf Körben und Kisten hilft ein Bild mit dem Inhalt, damit immer klar ist, was in diese Kiste hineinkommt.
  • Immer wiederkehrende Handlungen geben dem Kind das Gefühl, die Welt verstanden zu haben und die Möglichkeit, sich aktiv an diesen Abläufen zu beteiligen.
©Bananenblau Verlag

Das dritte Lebensjahr

Zu Beginn des dritten Lebensjahres, um den zweiten Geburtstag herum, kommt es zur Sprachexplosion. So nennen Wissenschaftler das explosionsartige Anwachsen der Sprachfähigkeit der Kleinkinder. Das Kind lernt täglich Unmengen an neuen Wörtern, bildet erst Zweiwort–, dann Dreiwortsätze und plappert den ganzen Tag. Mit der zunehmenden Sprachfähigkeit wächst natürlich auch die Intensität der sprachlichen Kommunikation. Das Kind beginnt, sich aktiv verbal mit der Welt auszutauschen, und fängt an, Fragen zu stellen.

Die „Warum-Zeit“ hat begonnen. Das Kind reagiert auf fast jede Ansprache mit der Frage: Warum? Es will Zusammenhänge erklärt haben und kann dabei noch nicht zwischen sinnvollen und nicht sinnvollen „Warum-Fragen“ unterscheiden. Außerdem macht es ihm Freude, die genervte Reaktion der Erwachsenen auf die viele Fragerei zu provozieren.

Im dritten Jahr beginnt außerdem die von vielen Eltern oft als anstrengend empfundene „Trotzphase“, die in der Fachsprache auch als Autonomiephase bezeichnet wird. Das Kind wird ohne uns ersichtlichen Grund wütend, fängt an zu schreiben, zu schlagen oder zu beißen und ist oft schwer zu beruhigen. Eltern stehen diesen Wutausbrüchen häufig machtlos gegenüber und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Doch so herausfordernd diese Phase auch manchmal für uns Erwachsenen sein mag, ist sie sehr wichtig für die Entwicklung des Kindes: Das Kind beginnt sich langsam von der engen Beziehung zu seinen Bezugspersonen zu lösen und wird immer selbstständiger. Die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen gewinnt an Bedeutung.

In der Kindergruppe lernt das Kind sich an Verrichtungen für die Gemeinschaft zu beteiligen. Die Ausübung von Tischdienst, Blumenpflege und die Einhaltung von sozialen Regeln sind jetzt möglich. Das Kind kann verstehen, warum es zum Beispiel zuhören muss, bevor es redet. Am Ende des dritten Lebensjahres hat das Kind die Basis einer Identität entwickelt. Es entdeckt sozusagen sein eigenes „Ich“ mit den eigenen individuellen körperlichen Merkmalen, Kenntnissen und Fähigkeiten und beginnt, von sich selbst zu sprechen – zunächst unter Verwendung des eigenen Vornamens, später in der „Ich“-Form. Es kann sich selbst auf einfache Art beschreiben, Unterschiede zu anderen erklären und einfache Verhaltensregeln in der Gruppe einhalten. 

Ratschlag für das dritte Lebensjahr – Rollenspiel trainieren

Zur sozialen Entwicklung gehört es, sich in andere hineinzuversetzen. Das geht am besten, wenn man die Rolle der Person annimmt, die man verstehen möchte. Kinder spielen in diesem Alter viel und oft Situationen nach, die sie selbst erlebt haben. Sie es der Kinderarzt, die Familie beim Essen oder der Besuch im Supermarkt. Geben Sie ihrem Kind die Möglichkeit und das Material, diese Spiele auszuprobieren.

Diesen Artikel haben wir mit freundlicher Genemigung des Bananenblau Verlags aus folgendem Buch von Antje Bostelmann entnommen:

Antje Bostelmann
Das Spiel der Kleinkinder
Frühes Lernen verstehen, begleiten und fördern
Bananenblau 2019 
ISBN: 978-3-942334-65-5
124 Seiten, mit DVD (48 Min. Spieldauer)
24,80 €

Zurück