Die Ausbildung elementarpädagogischer Fachkräfte in der Diskussion

Grundsatzgedanken

Schon die bei den alten Griechen vorherrschende Einsicht „Panta rhei“ – alles ist im Fluss – kann auch auf die aktuelle Diskussion um eine grundlegende Reform der Erzieherausbildung übertragen werden. Auf der einen Seite ist die derzeitige Auseinandersetzung in keinerlei Hinsicht neu! Schon seit Ende der Siebzigerjahre wurden immer wieder vielfältige Studien zur Ausbildungssituation und der Berufs(un)zufriedenheit von ErzieherInnen erhoben und in Positionspapieren/Fachartikeln/Büchern publiziert. Gleichzeitig wurden ständig mehr als deutlich dringend notwendige Änderungen im Ausbildungsbereich angemahnt und gefordert. Auf der anderen Seite scheint der „Fluss der offensichtlich notwendigen Reformen“ nun die ultimative Lösung gefunden zu haben: die akademisierte Ausbildung von Erzieher/-innen auf der Ebene eines sechs- bzw. siebensemestrigen Hochschulstudiums, verbunden mit dem akademischen Abschluss „Bachelor of Arts (B. A.)“.

Veränderung in der Ausbildung von Erzieher/-innen: eine unumgängliche Notwendigkeit

Dabei spielt immer wieder der Hinweis auf die Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher in den anderen EG-Ländern eine große Rolle. So gibt es beispielsweise in Großbritannien ein dreijähriges Universitätsstudium (mit einem Anerkennungsjahr), in den Niederlanden existiert eine vierjährige integrierte Erzieher- und Lehrerausbildung (Abschluss: Basislehrer) und in Frankreich sieht die Ausbildung ein dreijähriges Studium an einer pädagogischen Hochschule vor.

Die Notwendigkeit, die Erzieherausbildung zu verändern, ergab bzw. ergibt sich folgerichtig aus zwei Ausgangsdaten. Zum einen war und ist es die Kritik an der erlebten Ausbildung, die von vielen Erzieher/-innen selbst kam/kommt: (A) Es wurde/wird zu wenig bzw. einseitiges oder veraltetes Fachwissen vermittelt (vor allem in den Bereichen Entwicklungs- und Erziehungspsychologie). (B) Die Grundlagenorientierung im Hinblick auf arbeitsrelevante Schwerpunkte war/ist lückenhaft (z. B. zur UN-Charta Rechte des Kindes, zu den unterschiedlichen pädagogischen Ansätzen, zum „Berufsbild der Erzieher/-innen“, zu den spezifischen Inhalten der länderhoheitlichen Bildungsrichtlinien, zur Erstellung von qualitätsorientierten Situationsanalysen, zur vollständigen Betrachtung aller aktueller Qualitätsevaluierungsverfahren). (C) Die Ausbildungsinhalte haben einen deutlich zu geringen Praxisbezug. (D) Bedeutsame Schwerpunkte der Arbeit seien gänzlich unbeachtet geblieben (z. B. Vorbereitung auf eine Leitungstätigkeit; Konfliktmanagement; Rhetorik für schwierige Gesprächssituationen; effiziente Beratungsmethoden für Eltern; Team- und Zeitmanagement; Prophylaktische Pädagogik im Hinblick auf Entwicklungsstörungen …) und Lehrkräften fehle es eindeutig an eigenen Praxiserfahrungen in den Arbeitsfeldern, auf die sich ihre Unterrichtsinhalte beziehen. Sie schienen selbst relativ wenige Fortbildungen zu besuchen, ihre Selbstkritik sei kaum vorhanden und ihr Engagement befinde sich eher auf einem niedrigen Skalierungswert.

Stellungnahmen zur Notwendigkeit von Reformen

Zum anderen liegen unterschiedliche Stellungnahmen und Forderungskataloge von Verbänden und wissenschaftlichen Instituten vor, die ebenfalls in den vergangenen Jahren sehr eindringlich Reformen in der Ausbildung von Erzieher/-innen angemahnt haben. Beispielsweise die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Fachgruppe Kinder- und Jugendhilfe der Fachabteilung des DiCV, der Bayerische Landesverband Katholischer Tageseinrichtungen e.V., die Arbeitsgemeinschaft Jugendhilfe als Deutsches Nationalkomitee der Weltorganisation für frühkindliche Erziehung, der Pestalozzi-Fröbel-Verband (Berlin), Deutsches Jugendinstitut (DJI), der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge (Berlin), das Comenius Institut (Münster), die Gewerkschaften ÖTV und ver.di, das bayerische Institut für Frühpädagogik oder die Bundesarbeitsgemeinschaft katholischer Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher.

Schließlich ergaben sich auch durch den raschen gesellschaftlichen Wandel und die damit verbundenen soziokulturellen Veränderungen immer wieder neue Herausforderungen, mit denen derzeitig tätige und neu ausgebildete Erzieher/-innen konfrontiert sind. Die Lebenssituationen von Kindern, Jugendlichen und deren Familien haben sich ebenso verändert wie die Lebensentwürfe vieler Eltern. Wertmaßstäbe und Werteorientierungen verschieben sich in neue Dimensionen und neue, arbeitsspezifische Notwendigkeitenen verändern den Beruf von Erzieher/-innen nachhaltig (beispielsweise die Entwicklung der Kindertagesstätte zum Familienzentrum; die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen externen Fachdiensten, die Erstellung von Bildungsdokumentationen, Qualitätszertifizierungen, progressive Öffentlichkeitsarbeit, Interkulturalität in den Einrichtungen und die damit verbundenen interreligiösen Herausforderungen an Kinder und Erzieher/-innen …).

Veränderungen müssen mehr sein als kleine kosmetische Reparaturen

Anhand der genannten Aspekte wird deutlich, dass sich die Tätigkeit von Erzieher/-innen in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern einerseits in einem massiven Wandlungsprozess befindet und andererseits die Ausbildung der Erzieher/-innen darauf zu reagieren hat. Eine solche Änderung kann und darf allerdings nicht in „kleinen ­Reförmchen“ geschehen, wie es beispielsweise immer wieder versucht ­wurde. Auch wenn Ausbildungsschulen ihr Profil selbst überprüft und einzelne Strukturänderungen in ihren Ausbildungsgängen installiert haben, so blieb „der große Wurf“ in den allermeisten Fällen aus.

Ausgehend von den umfangreichen Praxiserfordernissen an eine professionell tätige Fachkraft, an eine qualitätsgeprägte Tätigkeit und ausgehend von den Forderungen der Verbände bzw. der Wissenschaft stellt sich die nächste Frage: Welche immer wiederkehrenden Kritikpunkte wurden in der Vergangenheit an der Fachschulausbildung vor allem laut und welche Innovationen wurden angemahnt? Zunächst ging es um bisher übliche Fächerorientierung mit ihrer festen, zeitlich aufgeteilten Stundenplanstruktur und die fehlende interdisziplinäre Zusammenfügung unterschiedlicher Schwerpunktfächer. Selbst die vorgenommene Umstellung in die sogenannte Lernfelddidaktik steht dabei wiederum in der Kritik, weil die zusammengeführten Inhalte die in einigen Fällen notwendige Trennschärfe mancher Schwerpunkte unberücksichtigt lässt und dadurch entsprechende Inhaltsvertiefungen außer Acht lässt. Darüber hinaus führte die durchweg verschulte Unterrichtsform zu dem bekannten „Frontalunterricht“, der einem aktiv beteiligten, forschenden und prozessorientierten Lernen abträglich war. Gleichzeitig kamen fächerübergreifende Projekte zu kurz, obgleich sie den auszubildenden Frauen und Männern wichtige Lernerfahrungen ermöglichen könnten und gleichzeitig fanden aktuell hoch bedeutsame Lerninhalte (beispielsweise neurobiologische Erkenntnisse und ihre Bedeutung für die Gestaltung der Frühpädagogik; Resilienzforschung; Medienpädagogik; betriebswirtschaftliches Denken und Handeln in sozialpädagogischen Einrichtungen, die differenzierte Betrachtung einer „Bildung aus erster Hand“ und einer „Bildung aus zweiter Hand“ …) nur selten eine Berücksichtigung im Unterricht. Ausgiebige Fachdiskussionen (im Sinne einer produktiven Streitkultur) wurden/werden kaum gepflegt, individuelle Lernvoraussetzungen der Frauen und Männer wurden/werden zu wenig während der Ausbildung berücksichtigt und vor allem haben es viele Ausbildungseinrichtungen nicht geschafft, die Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten/Fachhochschulen/Hochschulen und Universitäten zu suchen und zu pflegen. Damit hätte es zu einer weitaus besseren Vernetzung von einer aktuell geprägten „Theorievermittlung“ und zur Verfügung stehenden „Forschungsgrundlagen“ gegeben, durch die entsprechenden Innovationen in die Fachschulen hätten integriert werden können. Und letztendlich – als einen ganz zentral zu nennenden Punkt – wurde/wird zu wenig Wert auf die „Persönlichkeitsentwicklung“ der Auszubildenden gelegt! Und sollte dies dennoch in manchen Ausbildungsschulen der Fall gewesen sein, so waren/sind ihre Versuche in vielen Fällen nicht sehr erfolgreich, was eine nachhaltige Bildung(!) kennzeichnen würde. Die Gründe dafür sind sicherlich sehr vielfältig und die Hintergründe bedürfen einer sorgsamen Betrachtung. Dennoch ändert dies nichts an den eben genannten Ausgangsdaten.

Veränderungen verlangen Grundsatzreformen!

Bei allen Diskussionsaspekten – und das sollte der zentrale Ausgangspunkt bei einer anstehenden Grundsatzreform sein – geht es weder um die ständigen Hinweise auf „europäische Standards“ noch um eine Schwarz-Weiß-Malerei im Abgleich von Fachschulen oder Fachhochschulen, Hochschulen oder einer universitären Ausbildung. Solche politischen oder berufsstandorientierten Dimensionen können nur zu dogmatischen Stellungskämpfen führen, die an der Sachorientierung vorbeigehen.

Vielmehr ist die Frage zu beantworten, welche Kompetenzen Erzieherinnen und Erzieher für eine qualitativ hochwertig zu gestaltende Pädagogik benötigen und wie sie durch ihre Ausbildung zu einer identischen, professionellen Fachkraft werden können. Die Anforderungen und Aufgabenstellungen haben sich daher stets aus der PRAXIS abzuleiten!

Worum muss es daher in erster Linie gehen? Wenn „Professionalität und Qualität im Beruf von Erzieher/-innen“ als eine apriorierte, ausschlaggebende Grundlage angesetzt wird, so geht es zunächst immer um eine PERSÖNLICHKEITSBILDUNG der Fachkräfte. Dabei ist es völlig unerheblich, auf welcher „Ausbildungsebene“ dies geschieht – Hauptsache ist, dass dieser basisbildende Anspruch erfüllt wird. So muss es in der Ausbildung gelingen, künftige sozialpädagogische Fachkräfte in BILDUNGSPROZESSE zu bringen, die beispielsweise folgende Merkmale provozieren, aktivieren und stabilisieren:

Selbstständigkeit, autonomes Handeln, eine selbstkritische und realistische Reflexion der eigenen Person und der geleisteten Arbeit, Zivilcourage, Mut, Wahrnehmungsoffenheit für bedeutsame Anforderungen, eine selbst gesteuerte Leistungsmotivation, Veränderungsbereitschaft, Neugierde an einer permanenten, persönlichen Weiterentwicklung, Interesse an Wissenszuwachs, Forschergeist, Engagement, Authentizität, Kommunikationsfähigkeit, Experimentierfreude, Querdenken, Aufmerksamkeit und Konzentration für bzw. auf wesentliche Aufgaben, Reflexionsbereitschaft über handlungsleitende Werte, Freude an einem lebenslangen Lernen, Verantwortungsübernahme, Verlässlichkeit, Aufgeschlossenheit allem Neuen gegenüber und eine (selbst)kritische Überprüfung, Sach- und Wissenschaftsorientierung bei Fachauseinandersetzungen, Null-Toleranz bei politisch radikalen Weltwahrnehmungen, Selbststeuerungsfähigkeit in belastenden Situationen …

So ist es immer die PERSON als sozialpädagogische Fachkraft, die mit ihren intrapersonalen Merkmalen ihre Arbeit gestaltet!

Innovationen sind unumgänglich und daher angesagt.

Diese tragen dann beispielsweise dazu bei, Teamfähigkeit zu zeigen, Gruppenprozesse aktiv und konstruktiv mitzugestalten, innovative Gedanken zu entwickeln und durch praktische Handlungsvollzüge in der Einrichtung zu installieren, durch vorhandene Fachkompetenzen auf Entscheidungsträger aktiven Einfluss zu nehmen, Entwicklungsprozesse im Innen- und Außenbereich der Arbeit bewusst zu steuern oder eine qualitätsorientierte Konzeption auf der Grundlage der vorzufindenden Infrastruktur zu erstellen, eine professionelle Situationsanalyse ­vornehmen und qualitätsorientiert auswerten zu können, die unterschiedlichen pädagogischen und therapeutischen Ansätze in ihren spezifischen Merkmalen zu erfassen und einen Ansatz zu identifizieren, der für die betreffende Arbeit fachlich begründet und integriert werden kann … Weitere Beispiele könnten endlos folgen.

Alle vier Ausbildungsorte – Fachschulen und Fachhochschulen/Hochschulen/Universitäten – haben sich dieser obersten primär orientierten Aufgabe zu stellen. Dabei wird es darauf ankommen, durch entsprechend didaktische Schwerpunkte und methodische Gestaltungselemente der Lernsituationen den Schülerinnen und Schülern bzw. Studentinnen und Studenten genau diese „Schlüsselkompetenzen“ nahezubringen, damit sie ihre künftige Tätigkeit situationsangemessen, authentisch, qualitäts­orientiert und professionell gestalten. Wenn allerdings die zukünftige Fachhochschulausbildung (mit B.-A.-Abschluss) so „verschult“ (mit einem festgelegten „Stundenplan“ und fächerunvernetzt) sowie „praxisfern“ und „wissenschaftsverliebt“ (mit Professoren ohne eigene, aktuelle Praxiserfahrungen) abläuft, wie es zurzeit in einigen Fachhochschulen der Fall ist, dann wird die angemahnte, heiß diskutierte und eingeleitete Ausbildungsreform zum erneuten großen Flop. Alle angemahnten Innovationsnotwendigkeiten konzentrieren sich dann lediglich auf eine „wissenschaftlich fundierte Lehre“, anstatt zu begreifen, dass dies nur ein (= 1) Baustein in einem großen Gesamtpaket ist. In der Schulsprache hieße das: „Thema verfehlt, setzen, Sechs!“ Weiterhin ist es im Sinne der Aufgabenstellung überaus abträglich, wenn die unterschiedlichen Ausbildungsstätten miteinander konkurrieren und in einen Wettstreit treten würden – dabei kann es nur Sieger und Verlierer geben. Kooperation heißt das „Zauberwort“ – ein Lernziel, das schon in den Bildungsrichtlinien der Elementarpädagogik als Lernziel für Kinder formuliert ist. Würden Lehrkräfte an Fachschulen und Dozenten/Professoren an (Fach-)Hochschulen und Universitäten die für deren Klientel formulierten Lernziele als eigene Lernherausforderungen ansehen, verstehen, aufgreifen und umsetzen, wären die anvisierten Reformen leicht umsetzbar, unabhängig davon, auf welcher Ausbildungsebene dies geschieht.

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Grundlagen der Elementarpädagogik
Unverzichtbare Eckwerte für eine professionelle Frühpädagogik
Krenz, Armin
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548036
24,95 €

Mehr dazu auf www.burckhardthaus-laetare.de

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