August 2018

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Situationsorientiert Projekte planen

Ausgangssituation für Projekte

© pegbes/Fotolia

 

Der Situationsorientierte Ansatz geht grundsätzlich davon aus, dass Kinder in einer unüberschaubaren Welt von Eindrücken aufwachsen, die wiederum eine (un-)mittelbare Auswirkung auf Entwicklungsvorgänge haben: auf die Einstellungen der Kinder, ihre Weltwahrnehmung, ihre Weltbewertung, ihre tägliche Lebensgestaltung, ihre Erinnerungswelt und ihre perspektivische Sicht für das, was ihrer Meinung nach kommen wird.

Grundlagen dafür finden sich in den Ergebnissen der aktuellen Kindheits- und Bildungsforschung, ergeben sich aus den Konsequenzen der Entwicklungspsychologie sowie Neurobiologie im Hinblick auf die Bedeutung frühkindlicher Persönlichkeitsbildung und zeigen sich in den täglichen Ausdrucksweisen von Kindern. Wenn nun der Anspruch des Situationsorientierten Ansatzes darin besteht, KINDER und ihre Lebenswelt zum Ausgangspunkt der Arbeit zu machen, geht es zunächst um zwei Aufgaben:

  • Zum einen müssen „Lebensthemen“ der Kinder gesehen, verstanden und aufgenommen werden, um den „Ausgangspunkt Kind“ auch tatsächlich(!) zu treffen.
  • Zum anderen müssen alle außengerichtete Themen, wie sie einmal früher Schwerpunkte der Kindergartenpädagogik waren (Jahreszeiten/Orientierung nach Festen/Vorschulpädagogik …) bewusst und konsequent ausgeblendet werden, um einen Entwicklungsfreiraum für kindorientierte Pädagogik zu schaffen, getreu einer Kernaus­sage des 2. Vatikanischen Konzils: „Die Ordnung der Dinge muss der Person dienstbar gemacht werden und nicht umgekehrt“ (gaudium et spes).

Denken wir nur an die Biografien vieler Kinder (Stichworte: ein Leben mit unbefriedigten seelischen Grundbedürfnissen, Kompensation durch Konsum, die starke Zunahme an psychosomatischen Erkrankungen und Suchtverhaltensweisen, eine Zunahme an Verhaltensweisen, die vor allem durch Angstgefühle aufgebaut werden ...), so weisen diese darauf hin, dass Kinder unter Druck, Anspannungen, Irritationen stehen und gleichzeitig Hoffnungen, Wünsche, Träume haben.

Würden nun Themen aus der Erwachsenenwelt – und dann noch Themen einer bevorstehenden Zukunft –  vorgezogen werden, mit denen sich Kinder im Kindergarten beschäftigen müssten, würde der Anspruch einer „Kind­orientierung“ pädagogisch pervertiert.

Ausgangspunkt und Zielsetzung von Projekten

Kinder setzen sich mit ihren(!) Themen auseinander, mit ihren(!) Möglichkeiten, sich selbst zu entdecken, eine subjektive Beziehung zu ihrer(!) Welt aufzubauen und ihre Welt immer besser zu begreifen, ihre(!) Stellung in der Welt zu finden und ihre(!) Bedeutung der erlebten Umwelt abzugewinnen. Ihr Leben ist geprägt durch ihre(!) zurzeit vorherrschenden Gefühle und ihre(!) Einschätzung, ob sie in der Welt willkommen sind oder einen „Störfall“ darstellen.

Der Situationsorientierte Ansatz geht nun weiterhin davon aus, dass Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen (vor-, während- und nachgeburtlicher Art) das Leben der Kinder nachhaltig beeinflussen und prägen und dabei diese Summe der Einflüsse zu entsprechenden Persönlichkeitsmerkmalen der Kinder führen.

Fragt man sich nun, wie bzw. durch was Kinder diese Einflüsse nach außen tragen, so kann anhand der Entwicklungsforschung festgehalten werden, dass Kinder sechs Ausdrucksformen zur Verfügung haben. Dabei wird der Begriff „Ausdrucksform“ bewusst gewählt, steckt doch in ihm der Begriff „aus dem Druck kommen“.

Diese sechs Ausdrucksformen sind im Einzelnen:

  • ihr gezeigtes Verhalten,
  • ihre gewählten/vernachlässigten Spielformen,
  • ihre Erzählthemen und ihre Sprache,
  • ihr Malen und Zeichnen,
  • ihre Tag- und Nachtträume sowie
  • ihre zum Ausdruck gebrachte Motorik.

Ausdrucksformen werden im Situationsorientierten Ansatz – bildlich gesehen – als ein „Spiegel der Seele“ verstanden, durch den das Innenleben zum Vorschein kommt. (Auch bei uns Erwachsenen verhält es sich ebenso. Denken wir dabei an tägliche Situationen: Fühlen wir uns seelisch verletzt, ziehen wir uns zurück oder greifen emotionalisiert den anderen an; sind wir traurig, fangen wir an zu weinen oder fallen in eine Starrheit mit dem Ziel, Trauer zu unterdrücken; freuen wir uns, reagieren wir ausgelassen oder werden wir von massiver Angst beherrscht, sucht auch hier unsere Seele entsprechende Reaktionsmöglichkeiten …). Insofern ist jeder Mensch in seinem „So-Sein“ ein Abbild seines Seelenlebens. Das Drama liegt allerdings häufig darin, dass einerseits viele kleine und große Menschen durch hier nicht zu diskutierende Gründe den Kontakt zu sich selbst verloren haben und ihr Ausdrucksverhalten kaum oder nur verzerrt wahrnehmen. Andererseits können sie dadurch auch nur sehr eingeschränkt oder gar nicht ihre Außenwirkung auf andere einschätzen, sodass Kommunikationsstörungen/Fehlbeurteilungen programmiert sind. Diese führen bei Kindern (und Erwachsenen) zu Konfliktsituationen, aus denen sich bei einer entsprechend tief erlebten seelischen Verletzung bzw. bei einer häufig gleichbleibend tiefen Irritation etwa Auffälligkeiten in den unterschiedlichen Ausdrucks­formen bilden und verstärken können.

Der Situationsorientierte Ansatz macht es sich nun zur ersten Aufgabe, diese sechs Ausdrucksformen der Kinder zu beobachten, über einen längeren Zeitraum(!) zu sichten und schriftlich zu protokollieren.

Nun würde aber alle Protokollierung nichts bringen, wenn den elementarpädagogischen Fachkräften kein Instrumentarium zur Verfügung stehen würde, ihre Beobachtungen über die Ausdrucksformen zu verstehen, steht doch die Frage an, wozu ein Kind diese oder jene Ausdrucksform wählt. Hier liegt nun die weitere, überaus bedeutsame zweite Aufgabe: Entwicklungspsychologische Forschungen im In- und Ausland haben es sich seit mehr als zwei Jahrzehnten unter anderem zur Aufgabe gemacht, die möglichen Hintergründe für die unterschiedlichen Ausdrucksformen auf der Grundlage der analytischen Psychologie zu „entschlüsseln“. Dies geschieht in der Annahme und in dem Wissen, dass alle sichtbaren Ausdrucksformen „codierte (= ­verschlüsselte) Botschaften“ sind, die es zu „decodieren“ gilt, um Kinder tatsächlich zu verstehen und zu wissen, wie es Kindern geht, womit sie sich intrapsychisch (= innerlich) tatsächlich auseinandersetzen, was sie seelisch bewegt und wozu sie ihre offenbarten Ausdrucksformen nutzen (wollen/müssen!).

Diese verstandenen/zu verstehenden Ausdrucksformen haben damit für die Beobachterinnen einen jeweiligen Erzählwert.

Ausdrucksformen erzählen Geschichten, berichten über Hintergründe/Ursachen, legen Erlebnisse der Kinder offen und fordern elementarpädagogische Fachkräfte auf, dafür zu sorgen, dass Ausdrucksformen positiver, konstruktiver, lebendiger Art unterstützt und ausgebaut werden. Ausdrucksformen destruktiver Art, durch die sich ein Kind selbst (immer wieder) in Schwierigkeiten bringt oder andere Menschen bzw. ihr Umfeld schädigt, werden dagegen als Impulse und klare Aufgabenstellungen verstanden, hier gemeinsam mit Kindern neue Lösungsmöglichkeiten zu finden, damit sie aus ihrem seelischen Erleben heraus andere Ausdrucksformen in Gang setzen/wählen können!

Der Begriff „Erzählwert“ kann auch mit dem Wort „Deutung von Ausdrucksformen“ beschrieben werden. Und hier kommt auf die elementar-pädagogischen Fachkräfte eine besondere Verantwortung zu, die durch Fachlichkeit und Professionalität durchaus übernommen werden kann/muss:

Deutungen sind keine Interpretationen! Fließen bei persönlichen Interpretationen subjektive Einstellungen, Annahmen, Vorurteile, Halbwissen und Halbwahrheiten mit ein, beziehen sich Deutungen dagegen auf Erkenntnisse. Solche Erkenntnisse können sich aus veröffentlichten Forschungsergebnissen ableiten oder auch auf langjährige Fachbeobachtungen und Auswertungen beziehen. Bevor sich also elementarpädagogische Fachkräfte an die Erzählwerte heranwagen, müssen entsprechende Grundlagen (beispielsweise durch besuchte Fort-/Weiterbildungsseminare, intensiv bearbeitete Fachliteratur – siehe dazu die im Anhang aufgeführten Buchhinweise –) erarbeitet worden sein und zur Verfügung stehen.

Deutungen der Erzählwerte dürfen nur dann vorgenommen werden, wenn es um Ausdrucksformen der Kinder geht, die sie über einen längeren Zeitraum und in entsprechender Intensität zeigen! Es könnte gesagt werden, es sei „typisch“ für das Kind, diese oder jene besondere Ausdrucksform zu offenbaren. Der Begriff „typisch“ ist in diesem Zusammenhang nicht bewertend/stigmatisierend gemeint; vielmehr wird er als ein Synonym für ein oft beobachtetes Verhaltensmerkmal genutzt. In einem Überblick ergibt sich daher folgendes Bild:

Erfahrungen/Erlebnisse/Eindrücke (= lebensbedeutsame Situationen) offenbaren sich in sechs Ausdrucksformen:

  • in spezifisch gezeigten Verhaltensweisen,
  • in spezifisch gewählten/vernachlässigten Spielformen,
  • in Erzählthemen/ihrer Sprache,
  • im Malen und Zeichnen,
  • in Tag-/Nachtträumen,
  • in der Motorik.

Sie alle sind codierte Ausdrucksweisen und besitzen einen Ausdruckswert und einen Erzählwert.

Da Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke, die für Kinder bedeutsam waren, einen prägenden Wert besitzen (und auch noch uns als Erwachsene entscheidend in unserer Lebensgestaltung beeinflussen), hat der Situa­tionsorientierte Ansatz das Ziel, Kindern dabei zu helfen, die entwicklungsförderlich erlebten Einflüsse zu intensivieren/zu stärken und die entwicklungshinderlich erlebten Eindrücke/Erfahrungen zu verarbeiten, damit sie ein stärkeres, innerlich festes Selbstwertgefühl aufbauen/weiterentwickeln können, um die eigene Autonomie und Selbständigkeit auszubauen und damit zu einer gefestigten Identität und Sozialkompetenz zu finden, die zu einer reichen, glücklichen Lebensgestaltung führen.

Eine Anmerkung sei an dieser Stelle gestattet: Dem Situationsorientierten Ansatz wird von Zeit zu Zeit – und dabei aus einer bestimmten pädagogischen Richtung – vorgehalten, er habe eine „therapeutische“ Zielsetzung, die von elementarpädagogischen Fachkräften nicht geleistet werden kann. Dazu sei Folgendes gesagt:

  1. Elementarpädagogische Fachkräfte sind keine „Kindergärtner/-innen“, die „zu dumm“ für eine Arbeit mit hoher Fachkompetenz wären!
  2. Wenn das Wort „therapeutisch“ im Sinne einer genauen Übersetzung aus dem Griechischen mit „dienlich“ angenommen wird und im Sinne einer Fortführung gesagt würde, die Arbeit habe „der Entwicklung von Kindern dienlich zu sein“, dann trifft das Wort „therapeutisch“ absolut exakt zu. „Therapeuten“ (also Menschen, die im Sinne einer Entwicklung anderen Menschen dienlich sind) sind genau genommen „Diener“ – sie haben einer inhaltlichen Aufgabenstellung zu dienen zum Wohl der ihnen anvertrauten Menschen. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass „therapeutische Arbeit“ nicht einer „psychotherapeutischen Arbeit“ gleichgesetzt wird bzw. werden darf. Hier gibt es Unterschiede!
  3. In dem Maße, in dem Fachschulen/-akademien sowie (Fach-)Hochschulen/Universitäten (mit dem Schwerpunkt der Elementarpädagogik) ihre Ausbildung fachlich/inhaltlich reformieren würden und dem Bereich der Entwicklungspsychologie, der Neurobiologie sowie der Bildungs- und Bindungsforschung eine erste, oberste Priorität beimessen würden, würde ein oben angesprochenes Fachwissen schon vor der Berufsaufnahme vorhanden sein – zumindest in basalen Grundlagen.

Die Zielsetzung des Situationsorientierten Ansatzeslässt sich also wie folgt beschreiben:

Der Kindergarten will Kindern die Möglichkeit geben, lebensbedeutsame Situationen, die das Kind in seinen Ausdrucksformen offenbart, in entwicklungsförderlicher Sicht zu unterstützen und bei entwicklungshinderlichen Eindrücken zu verarbeiten, um sich weiterhin bzw. impulsgebend, wahrnehmungsoffen und engagiert mit seinem gegenwärtigen Leben beschäftigen zu können.

Durch den Auf-/Ausbau seiner personalen Identität wird es Kompetenzen intensivieren bzw. neu entwickeln, die es die Gegenwart gestalten und die Zukunft bewältigen lässt.

Lebenspläne von Kindern als Grundlage für Projekte

Galt es zunächst, Kinder in ihren sechs Ausdrucksformen wahrzunehmen, diese wahrgenommenen Ereignisse in Beobachtungslisten schriftlich zu protokollieren und anschließend jedes Ausdrucksverhalten in seinem Erzählwert zu verstehen (zu deuten), so hat die Praxis gezeigt, dass es besonders aussagekräftig ist, wenn zu jeder Ausdrucksform möglichst mehrere (drei bis sechs) Beispiele aufgeführt sind! Je höher die Anzahl der beobachteten Beispiele ausfallen, desto aussagekräftiger kann der Erzählwert beschrieben und zusammengefasst werden!

Nehmen wir einmal an, dass die Beobachtung eines Kindes je vier „typische“ Beispiele einer jeden Ausdrucksform ergeben hat, so hat die elementarpädagogische Fachkraft insgesamt 24 Ausdrucksbelege zur Verfügung, um dann aus ihrem Fachwissen heraus diese spezifischen Ausdruckswerte mit ihren Erzählwerten zu versehen. Viele Erzieher/-innen haben sich mit der Zeit und durch die intensive Beschäftigung mit der Symbolik des Verhaltens, der Symbolsprache der Spielformen und des spezifischen Spielens der Kinder, der Symbolik der Bewegung/des Bewegungsverhaltens, der Symbolik des Erzählens und der Sprachgestaltung, der Symbolik des Malens und Zeichnens und der Symbolsprache der Träume ein eigenes „Symbol-be-deutungs-buch“ angelegt, das nach entsprechend besuchten Fachseminaren oder nach einer erfolgten Fachbuchbearbeitung immer wieder ergänzt wird.

Nun könnte man annehmen, dass bei entsprechenden Ausdrucks- und Erzählwerten sehr viele, ganz unterschiedliche Decodierungsergebnisse bei einem Kind herauskommen. Nun, das ist falsch. Immer gibt es zwischen den unterschiedlichen Ausdrucks- bzw. Erzählwerten einen roten Faden, eine Sinnverbindung, einen Leitwert, der sich durch alle (zumindest die meisten) Aussagen zieht. Anders ausgedrückt: Durch einen Vergleich und eine vernetzte Betrachtung der Ausdrucks- und Erzählwerte offenbart sich ein Verhaltensmuster, das sich offensichtlich im Laufe der Zeit und des Kind(-er-)lebens herausgebildet hat. Eine Auswertung ungezählter Ausdrucksformen und ihrer Erzählwerte hat ergeben, dass außergewöhnlich viele Kinder etwa ein Verhaltensmuster zeigen, welches deutlich macht, dass Kinder:

  • unter Druck stehen und Druckentlastung suchen,
  • unglücklich sind und Glück erleben wollen,
  • sich schwach und minderwertig fühlen und Seelenstärke brauchen,
  • Angstsituationen ausgesetzt sind und eine Befreiung aus der Angst suchen,
  • Einsamkeit erleben und auf der Suche nach Annahme sind,
  • unter Anspannungen leben und Entspannung suchen,
  • mutlos sind und eigentlich mutig sein wollen,
  • Anforderungen mit Resignation begegnen und lieber Wagnisse eingehen würden,
  • Angst vor Versagenserlebnissen haben und daher innere Stärke brauchen,
  • in Überforderungen stecken und sich davon zu befreien versuchen,
  • unterfordert sind und auf der Suche nach „echten“ Herausforderungen sind,
  • Enttäuschungen mit sich herumtragen und lieber eine emotionale Freiheit hätten.

Natürlich(!) gibt es daneben auch Kinder, die sogenannte positive Verhaltensmuster zum Ausdruck bringen, doch sind sie im Verhältnis zur Gesamtzahl der beobachteten Kinder deutlich in der Minderheit. Wichtig ist folgende Anmerkung: Es geht dem Situationsorientierten Ansatz nicht um eine negativ geprägte Projektarbeit. Wer das behaupten würde, hätte sich von einer fachlichen Diskussion weit entfernt. Vielmehr richtet sich der Ansatz – und damit auch die Projektorientierung – nach den Daten heutiger Kindheiten – und das direkt vor Ort – aus. Das bei den Kindern entzifferte Verhaltensmuster, das bei einem Zusammentragen aller Ausdrucksformen sowie einer vernetzten Betrachtung aller Erzählwerte entdeckt werden kann, wird im Situationsorientierten Ansatz als „individueller Lebensplan des Kindes“ bezeichnet. Seine genaue Definition lautet wie folgt:

Ein Lebensplan ist der rote Faden im Leben von Menschen. Er ist ein personell individuelles Verhaltensmuster, das sich in der Vielzahl der Ausdrucksformen und ihren spezifischen Ausdrucksweisen zeigt und einen jeweiligen Bedeutungs(-Erzähl-)wert besitzt. Der Lebensplan eines Menschen setzt sich aus der individuellen Bewertung bisheriger Lebenserfahrungen, -eindrücke und Erlebnisse zusammen und verfolgt den Zweck, lebensnotwendige Grundbedürfnisse zu befriedigen, um zu einer seelischen Stabilität auf der Grundlage einer personalen Identität zu finden.

Dazu ein paar einfache Beispiele, um den Zusammenhang von Lebensplan und Grundbedürfnisbefriedigung zu verdeutlichen:

  • Kinder, die unter Spannung stehen, suchen häufig intensive Bewegungen, um sich von ihrem Stress zu befreien und um letztlich entspannter sein zu können; allzu schnell werden diese Kinder mit dem Etikettierungsbegriff „AD(H)S-Kind“ versehen, was fachlich in keinerlei Weise begründet ist!
  • Einsame Kinder suchen häufig den Kontakt zu anderen Menschen, um Annahme und Geborgenheit zu spüren, und dabei würden diese Kinder am liebsten die ganze Zeit über die körperliche Nähe zum Erwachsenen genießen. Allzu schnell werden diese Kinder mit der unfachlichen Bewertung „distanzlos“ belegt, anstatt zu verstehen, dass Kinder ihr Grundbedürfnis „Liebe erfahren“ sättigen/nachholen wollen und müssen.
  • Kinder mit vielen Unsicherheiten suchen Situationen/Personen/Umstände, die ihnen Sicherheiten geben und es fällt ihnen schwer, sich auf neue, unbekannte Situationen einzulassen. Diese Kinder haben beispielsweise Schwierigkeiten, sich von vertrauten Personen zu lösen, Spielgegenstände abzugeben, etwas zu teilen oder Spielabbrüche zu akzeptieren. Allzu schnell werden diese Kinder als „unselbstständig“, „unflexibel“ oder in ihren Verhaltensweisen als „nicht altersgerecht“ abgeurteilt.
  • Kinder mit einem stark eingeschränkten Selbstwertgefühl bzw. Minderwertigkeitsgefühlen schaffen häufig Situationen, durch die sie auffallen und dadurch (endlich einmal) in den Mittelpunkt von Betrachtungen/Beachtungen kommen. Allzu schnell werden sie als „unangepasst“, „egoistisch“, „unsozial“ oder „aggressiv“ beurteilt, ohne zu sehen, dass es eine aktuelle Überlebensstrategie der Kinder ist, um nicht gänzlich in ihrer erlebten Bedeutungslosigkeit ganz abzurutschen.
  • Kinder, die sich seelisch ohnmächtig fühlen, haben häufig den Wunsch, Macht über andere zu besitzen. Allzu schnell werden diese Kinder als „gewalttätig“ abgestempelt, ohne zu verstehen, dass Angst-, Verunsicherungs- und Ohnmachtsgefühle genau zu dieser Überlebensstrategie führen müssen …

Diese Aufzählung könnte endlos fortgesetzt werden. Wenn – und darauf weisen ungezählte Beobachtungen – kindeigene Ausdrucksformen beispielsweise sehr häufig dem Zweck dienen, sich aus einer Angst zu befreien, Stolz erleben zu wollen, sich aus Wut und Ärger frei machen zu wollen, „eigentlich“ Ruhe und Entspannung suchen, Sicherheiten finden wollen, eigene Stärke spüren möchten, Wertschätzung und Zuverlässigkeit erleben möchten, sich aus Drucksituationen befreien zu wollen …, dann hat ein Kindergarten, der sich dem Situationsorientierten Ansatz verpflichtet fühlt, dafür zu sorgen, dass die Kinder in ihrer elementarpädagogischen Einrichtung (und in der Zusammenarbeit mit Eltern auch wenn möglich im Elternhaus) das finden, was sie brauchen. Vielleicht kann auch so eine Erklärung dafür gefunden werden, dass Kinder, die keine Freude dabei empfinden zum Kindergarten zu gehen, bestimmte „Angebote“ immer wieder verweigern, das Abholen von den Eltern kaum abwarten können, eine sogenannte Kindergartenmüdigkeit entwickeln, mit Langeweile einen Großteil ihrer Tage im Kindergarten verbringen, aus dem Kindergarten abhauen, durch vielfältige Verhaltensirritationen auffallen, einfach nicht das erleben, wonach ihre Seele ruft!

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Der situationsorientierte Ansatz - Auf einen Blick
Konkrete Praxishinweise zur Umsetzung
Krenz, Armin
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548043
15,00 €


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Kinderportfolio für das erste Fremdsprachenlernen

Angelehnt an das Europäische Fremdsprachenportfolio

Kinderportfolio

Diese Broschüre hilft ErzieherInnen und Grundschullehrkräften dabei, ein für ihr Fremdsprachenangebot passendes Kinderportfolio zu erstellen. Die Publikation des Goethe Institutes ist an das Europäische Fremdsprachenportfolio angelehnt.

Die einführenden Kapitel erläutern ausführlich, wie und wann Sie mit der Arbeit eines solchen Lernwegbegleiters beginnen können. Der Praxisteil bietet eine Anzahl von Arbeitsvorlagen auf zwei Niveaustufen an.

  • Eine Form, die ohne Vorkenntnisse von Schrift selbsterklärend für die Kinder ist
  • Eine etwas anspruchsvollere Variante, die das Kind zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal bearbeiten kann.

Dieses Kinderportfolio können ErzieherInnen und Lehrkräfte nach Bedarf abändern und weiter entwickeln.

Kinderportfolio doppelseitig zum Download (PDF, 5 MB)
Kinderportfolio einseitig zum Download (PDF, 5 MB)


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Wie Sie Kinder stark machen

Selbst gemachte Erfahrungen fördern die Entwicklung

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Kinder stärken und sie in ihrer Entwicklung unterstützen. Das ist der Weg, Kinder körperlich, geistig und seelisch zu erziehen. Bewegung und selbst gemachte Erfahrungen sind wichtige Vorraussetzungen, damit Kinder zu starken Persönlichkeiten werden, die sich nicht in Angst, Gewalt oder Sucht flüchten.

Erzählen Erwachsene über ihr Leben und blicken dabei auf ihre Kindheit und Jugend zurück, wird es immer dann besonders spannend, wenn es um Erlebnisse geht, bei denen sie Erfahrungen sammeln konnten, die weit über den Augenblick hinaus für sie von Bedeutung waren.

Kindheitserfahrungen können ein ganzes Leben prägen.

Ein bekannter Kinder- und Jugendpsychiater sieht es als wichtigen Grund für seine spätere Berufswahl an, sich einmal gegen die ganze Klasse für seinen zu Unrecht bedrängten Freund eingesetzt und dann zu zweit dem Ansturm der Mitschüler standgehalten zu haben. Mit dem Ergebnis, dass der Ansturm sich angesichts zweier offensichtlich unerschütterlich Verbündeter in Luft auflöste. „In dieser Situation habe ich viel über Aggression und Angst gelernt. Wie oft habe ich später an diese Minuten gedacht und immer wieder gespürt, welche Gefühlswechsel von Wut über Angst bis zu höchster Siegesbefriedigung ich damals empfunden habe. Dieses Erlebnis habe ich als Erfolg verbucht – als echte Stärke – und es hat mich geprägt. Es hat mich bei anstehenden Entscheidungen und Reaktionen immer wieder nach dieser Stärke in mir suchen lassen. Denn dass sie da ist, das weiß ich seit damals.“

Aktiv Erfahrungen zu sammeln und sie, wenn es darauf ankommt, als Wissen und Fähigkeiten zur Verfügung zu haben – das ist eine wesentliche Voraussetzung, um auf Anforderungen vorbereitet zu sein. Das bedeutet im Alltag nichts anderes, als sich nicht schnell verunsichern oder einschüchtern zu lassen und jede Gelegenheit, sich zu beweisen, wahrnehmen und nutzen zu können.

Kevin (5 Jahre alt) war erst vor wenigen Wochen mit seinen Eltern in eine neue Wohngegend gezogen. Obwohl zwei der Nachbarskinder mit ihm in denselben Kindergarten gingen, hatte er beim Spiel auf der Straße noch keinen richtigen Kontakt gefunden. Als die Kinder eines Nachmittags auf jeder Baumscheibe auf dem Bürgersteig einen dicken Belag grob geschredderter Rindenstücke vorfanden, war Kevins Stunde gekommen. Dank seiner Erfahrungen mit Treibholzstückchen am Strand konnten die Kinder unter seiner Regie mit größtem Vergnügen eine Hafenanlage mit Schiffen bauen und stundenlang spielen. Einer seiner Kindergarten-Kameraden begleitete Kevin gegen Abend nach Hause. „Ich will mal sehen, wo deine Klingel ist. Sollen wir morgen im Kindergarten draußen zusammen spielen?“

Wer schon früh Anforderungen meistert, ist auf spätere Anforderungen vorbereitet.

Kevin kam in die Gruppe rein, weil er eine Idee hatte und diese offensichtlich geschickt unter die Kinder brachte. Das hat ihm die Eingliederung erleichtert – sicher nicht nur die akut anstehende, sondern auch die nächste und die übernächste. Denn Kevin wird ähnliche Anforderungen nicht mehr als unüberwindbare Hürde ansehen.

Mit Anforderungen zurechtgekommen zu sein, schafft ein Sicherheitspolster, das in schwierigen Situationen – wenn überhaupt – viel seltener und dann auch erst viel später ausrasten und verzweifeln lässt.

Es ist gut zu wissen:

  • „Ich habe schon so viel geschafft, also schaffe ich das auch!“
  • „Ich weiß mir zu helfen, notfalls hole ich mir Hilfe!“
  • „Ich kenne mich!“
  • „Ich kann mich auf mich verlassen!“

Aktiv Erfahrungen sammeln ist eine Sache – Erfahrungen sammeln können und dürfen die andere. Die Dinge unserer Umgebung schaffen „Lebensbedingungen“. Was einen großen oder kleinen Menschen umgibt, beeinflusst sein Leben. Damit ist nicht nur das Haus gemeint, in dem er wohnt, mit seiner Ausstattung und mit den anderen Grundstücken und Gebäuden in nächster Nähe oder die Straße und die Stadt, in der dieses Haus steht. Damit sind auch die Aktivitäten gemeint, die dieser Lebensraum zulässt, die Kontakte, die dort zu anderen Menschen möglich sind. Handelt es sich dabei um Angebote, mit denen Kinder etwas anfangen können, mit denen sie groß werden können?

Der Lebensraum unserer Kindheit beeinflusst unser Leben.

Sich frei bewegen und spielen – zwei Erfahrungsschatzkisten, die während der Kindheit gefüllt werden können.

Sich bewegen: Lust pur

„Bewegt es sich?“ fragen Kinder aufgeregt, wenn sie ein kleines Tier am Boden finden. Denn wenn es sich bewegt, lebt es. Bewegung – das bedeutet Leben und Aktivität. Die Kindsbewegungen sind für die werdende Mutter die ersten, eindeutig wahrnehmbaren Signale ihres Kindes. In den Armen von Mutter oder Vater gewiegt zu werden stillt das Kontaktbedürfnis und vertreibt die Verlassenheitsangst des Säuglings. Selbstverständlich verschafft sich ein gesundes Kind schon im Säuglingsalter selbst Bewegung. Mit der eigenen Hand etwas bewirken zu können, sich etwas herbeiholen oder vom Leib halten zu können, darf zu den ersten großen Erfolgserlebnissen gezählt werden.

Menschen haben eine starke Motivation, sich zu bewegen. Worte wie „Bewegungsfreude“, „Bewegungslust“ oder „Bewegungsdrang“ zeugen davon. Kinder müssen sich bewegen. Nicht weil Erwachsene Bewegung für gesund und für pädagogisch wichtig halten, sondern weil Kinder sich bei und nach motorischer Aktivität wohlfühlen, befriedigt und bereit für neue Aktivitäten sind. Plötzlich können sie wieder konzentriert nachdenken, vertieft lesen, auf andere zugehen und aufkommende Langeweile mit Ideen besiegen.

Bewegung bedeutet Leben und Aktivität.

Jede motorische Aktivität lässt Kinder mehr über ihren Körper erfahren, über seine Beweglichkeit und seine sich durch Wachstum und Übung verändernden Möglichkeiten. Ein ungestörter Entwicklungsablauf braucht Bewegungsanreize, hat Bewegungsvielfalt eingeplant. Deshalb wird Springen, Rennen, Sich-Drehen, Hüpfen und Schaukeln als schön, spannend und lustvoll empfunden.

Viel Bewegung macht körperlich und geistig beweglich

Dieser körpereigene Belohnungseffekt hat seinen Grund: Während all dieser Bewegungsabläufe formen und verknüpfen sich Neuronenmuster in den verschiedenen Gehirnarealen und werden durch Üben stabiler. Kaum jemand weiß, dass beim Klettern, Malen, Nussknacken, Balancieren, Fußballspielen und Tanzen großteils dieselben Schaltstellen gebahnt werden, die auch beim Sprechen, Rechnen, Lesen und Nachdenken in Aktion sind. Je häufiger sie alle aktiviert sind, desto stärker und leistungsfähiger werden die Verschaltungen. Das bedeutet: Man „schaltet“ also auch geistig schneller und besser.
Viele Bewegungserfahrungen lassen also körperlich und geistig beweglicher werden. Zuerst einmal motiviert Kinder die reine Bewegungsfreude selbst. Dann wird der Vergleich verlockend, wer von den anderen Mädchen und Jungen auch so schnell laufen, so weit springen oder bei den tollkühnsten Kletterpartien mithalten kann – und mit wem es am meisten Spaß macht, sich zu messen und auszupowern. Erst viel später – meist auch von außen angeregt – geht es um in Metern und Sekunden messbare Leistung. Der wahre Erfahrungsschatz, der für die kindliche Entwicklung relevant ist, liegt auf den ersten beiden Stufen.
Kinder mit Bewegungsdefiziten reagieren alarmierend, denn sie sind arm dran. Ihre Reaktionen sind Notsignale der Natur, damit der schnell gefährlich  werdende Bewegungsentzug, der den ganzen Erregungshaushalt durcheinanderbringt, nicht noch länger anhält.
Mittlerweile verstehen viele Fachleute diese vehementen Hilferufe richtig und können den Eltern beim Übersetzen helfen. Die Botschaft der Kinder heißt:

„Lasst uns draußen toben,damit es nicht drinnen in uns wütet!“

Krach machen und Bewegung sind für Kinder oft eng gekoppelt. Lärm und Bewegung sind starke Ausdrucksmittel, mit denen man ein Revier abstecken und etwas Eindrucksvolles unüberhörbar und unübersehbar produzieren kann. Wer regelmäßig im Freien toben darf, dem fällt es auch leichter, drinnen leiser zu spielen. Denn diese Ausdruckskomponente ist als Kontrast dann auch wieder spannend.

Kleinkinder besiegen Zehnkämpfer.

Kinder wollen sich bewegen. Beobachten Sie einmal in der Reisezeit, wie die Kinder auf den Rastplätzen aus den engen Autos purzeln. Sie explodieren fast. Kein Körperteil will unbewegt bleiben. Bewegungsabläufe im Übermaß sind angesagt – keineswegs alle dafür gedacht, sich in kürzester Zeit von Punkt A nach Punkt B zu bewegen. Sondern einfach nur mit dem Zweck und Ziel, beweglich zu sein. Erst wenn sie sich ein bisschen ausgetobt haben und atemlos geworden sind, sind Kinder wieder auf andere Bedürfnisse ansprechbar: Erst dann nehmen sie wieder wahr, dass sie hungrig oder durstig sind oder Pipi machen müssen.

Die Bewegungsressourcen eines Kleinkindes sind beeindruckend. Seine kurzfristige Regenerationsfähigkeit lässt Erwachsene geradezu neidisch werden. Seit einem Test in den 70er Jahren wissen wir, dass ein trainierter Zehnkämpfer nur etwa vier Stunden lang in der Lage ist, die körperlichen Aktivitäten drei- bis vierjähriger Kinder mitzumachen. Danach ist er geschafft – während die Kinder immer noch, von kurzen Pausen unterbrochen, weiter agieren können, wollen und müssen. Kinder leiden, wenn ihr altersgemäßer Bewegungsdrang unterdrückt wird. Am meisten, wenn sie womöglich für mobile Aktivitäten auch noch mit Bewegungs- und Liebesentzug bestraft werden.
Diesen Kindern widerfährt Schlimmes, sie werden motorisch depriviert. Das heißt: Sie werden einer für ihren Entwicklungsverlauf wichtigen Erfahrungsmöglichkeit beraubt. Dagegen revoltieren sie lautstark, setzen sich mit Händen und Füßen zur Wehr, sobald sie festgehalten werden, still sitzen müssen und nicht rumrennen dürfen. Ruhe wird zum verhassten, gefürchteten Zustand, der – wenn man Glück hat – über einen aufwändigen Umweg nach Jahren wieder zu etwas Erstrebenswertem werden kann.
Aggression ist die erste Reaktion auf diese verhinderte Triebbefriedigung. Völlig gerechtfertigt begehrt ein Kind gegen diese folgenschweren Einschränkungen auf. Doch auf den ersten Blick sieht sein Verhalten zunächst einmal nur böse und ungezogen aus. Das Kind gefährdet andere – oft auch sich selbst –, bis endlich jemand den wahren Grund für diese extremen Reaktionen erkennt und sich die Mühe macht, die zugrunde liegenden Zusammenhänge zu verstehen – und dann noch für Änderung sorgt.

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Stark von Anfang an
Kinder auf dem Weg zur Resilienz begleiten
Haug-Schnabel, Gabriele
Schmid-Steinbrunner, Barbara
Oberstebrink
ISBN: 9783934333451
20,00 €

Mehr dazu auf www.oberstebrink.de




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Wie lernen wir – und wie entwickeln wir uns?

Auch das Lernen kann man lernen

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Der Leistungsdruck wächst. Manche Kinder haben Schwierigkeiten beim Lernen. Häufig ist die Ursache nicht mangelnde Begabung oder Aufmerksamkeit, sondern schlicht die falsche Lerntechnik. Oft helfen schon kleine Tricks, um den Kindern eine ganz andere Perspektive auf das Thema „Lernen“ zu ermöglichen.

In folgendem Artikel erfahren Sie ...

  • wie unser Gehirn die Flut der Informationen aufnimmt, sortiert und verarbeitet
  • welche wichtigen Voraussetzungen wir für erfolgreiches Lernen schaffen können
  • warum es wichtig ist, dass Ihrem Kind das Lernen Spaß macht

Das Gehirn: Ein Blick hinter die Stirn des Menschen

Warum fällt meinem Kind das Lernen so schwer? Wie kann ich meinem Kind das Lernen leichter machen? Um auf diese Fragen eine Antwort zu finden, sollten Sie einmal einen Blick hinter die Stirn des Menschen tun – einen Blick ins Gehirn. Wenn Sie wissen, wie das Gehirn arbeitet, dann können Sie auch besser verstehen, wie das mit dem Begreifen, Denken, Behalten und Handeln funktioniert, worum es beim Lernen eigentlich geht – und worauf es beim „Lernen lernen“ ankommt.

Unser Gehirn, diese „Denk- und Lernmaschine“, ist, wie der Nobelpreisträger John Eccles sagte, „der Kern des Geheimnisses Mensch“.

Bevor wir uns auf den Weg in das Innere der Gehirnwindungen machen, schauen wir uns zunächst einige „Äußerlichkeiten“ an. Im Durchschnitt wiegt das Gehirn bei einem Erwachsenen rund 1.500 bis 1.600 Gramm, das sind nur etwa 2% des Körpergewichts. Das Gewicht sagt allerdings nicht unbedingt etwas über Intelligenz und Entwicklungsmöglichkeiten aus. Denn dann wären Elefant und Wal wahre Intelligenzwunder. Ihre Gehirne sind mit 5.000 Gramm mehr als dreimal so schwer wie unser Denkzentrum. Auch einer der bedeutendsten Denker – Immanuel Kant – brachte es nur auf ein „Durchschnittsgehirn“ von knapp 1.600 Gramm.

Das Gehirn ist mit dem „Kabelsystem“ Rückenmark verbunden und bildet mit ihm zusammen die Kommando- und Steuerzentrale aller wichtigen Lebensvorgänge. Im Laufe der Geschichte über Millionen von Jahren hat sich das Gehirn schrittweise entwickelt. Es begann bei den niederen Lebewesen mit ein paar tausend Einzelzellen, die sich darauf spezialisierten, Informationen auf andere Zellen zu übertragen – die ersten Nervenzellen.

Aus diesem ersten „Minigehirn“ ist vor rund 1,5 Milliarden Jahren der älteste Teil unseres Gehirns entstanden, das Stammhirn. Es steuert alle grundlegenden Lebensfunktionen vollautomatisch, ohne unser bewusstes Zutun, z. B. das Atmen, die Kreislaufregulation, den Schlaf-Wach-Rhythmus, Reflexe und automatische Reaktionen. Das benachbarte Kleinhirn übernimmt die Koordination von Nachrichten aus den Sinnesorganen und der Großhirnrinde. Es stimmt unsere Bewegungsabläufe ab und hält uns zusammen mit dem Gleichgewichtssinn in der Balance. 500 Millionen Jahre nach der Entwicklung des Stammhirns bildete sich das Zwischenhirn aus. Hier sind viele wichtige Schaltstationen für weitere Lebensvorgänge und Gefühle vereint. So verknüpft es jeden von der Außenwelt kommenden Sinneseindruck mit einem Gefühl: mit Freude oder Angst, Lust oder Schmerz.

Vor 500.000 Jahren schließlich entstand das Großhirn. Es besteht aus zwei Großhirnhälften, die für unsere Denkvorgänge die Hauptrolle spielen. Diese zwei spiegelbildlichen Hälften tauschen über einen bleistiftdicken Nervenstrang Informationen aus. Im Großhirn sitzen Bewusstsein, Persönlichkeit und Wille. Hier werden alle wahrgenommenen Eindrücke verarbeitet, sodass wir kombinieren, wiedererkennen, uns erinnern, denken und vergessen können. Diese phantastischen Fähigkeiten ermöglichen das Lernen.

Der linken Hirnhälfte sind folgende Funktionen zugeordnet:

  • Logisches Denken
  • Arbeiten mit Zahlen, Begriffen und Mengen
  • Sprechen
  • Folgerichtiges und analytisches Vorgehen

Die rechte Hirnhälfte ist für folgende Funktionen zuständig:

  • Einsatz von Phantasie und Intuition
  • Ganzheitliches Denken
  • Raumorientierung
  • Künstlerische Fähigkeiten
  • Einsicht und Einbeziehen von Gefühlen und Empfindungen

Das bedeutet allerdings nicht, dass all das dort Wahrgenommene ausschließlich auch dort gespeichert und verarbeitet wird. Es gibt individuelle Varianten und Verknüpfungen. Unser Gehirn und seine Verschaltungen sind so komplex und besonders bei Kindern so variabel, dass z. B. Linkshändern kein größeres Risiko für Lernschwierigkeiten angedichtet werden sollte.

Die Welt der „grauen Zellen“

Wenn wir tiefer in diese Mikrowelt eindringen, stoßen wir auf die einzelnen Nervenzellen, ihre Verbindungen und Verdrahtungen: Die Windungen unseres Großhirns bestehen aus über 15 Milliarden der berühmten „grauen Zellen“. Eine astronomische Zahl.

Stellen Sie sich nun unser Nervensystem als ein weitverzweigtes Telefonnetz vor. Schaltzentrale ist das Gehirn, das Rückenmark ist die zentrale Leitungsbahn. Die aus vielen einzelnen Nervenzellen gebildeten Nervenfasern, die allesamt ins Rückenmark hinein- und wieder herausführen wie die feinen Äste eines Baumes, sind die einzelnen Telefonleitungen. Alle Fasern aus diesem Verbindungsnetz zusammengenommen bilden eine Strecke von 500.000 Kilometern Länge, länger als die Entfernung von der Erde zum Mond – und das in unserem Kopf!

Pro Sekunde gelangen etwa 10 Millionen Informationen in unser Gehirn – das sind rund 100 Billionen im Laufe des ganzen Lebens. Diese Eindrücke aus der Außenwelt werden über unsere Sinnessysteme vermittelt und mit „körpereigenen“ Empfindungen wie Freude oder Schmerz verbunden. Über unser „Telefonnetz“ aus Nervenzellen werden sie dann ans Gehirn gemeldet. All diese Nervenzellen übertragen – ähnlich wie beim richtigen Telefonnetz – elektrische Impulse. Dazu wird jede einzelne Zelle einer Leitung „nervös erregt“ oder „gereizt“ – oft auch viele Zellen gleichzeitig. Das erklärt, dass schon ein einzelner Klang, ein Wort, eine Erinnerung, eine Berührung unsere Aufmerksamkeit wecken, innere Bilder, Gedanken, Gefühle und Reaktionen aktivieren kann – und zwar alles im selben Moment.

Die Übertragung ist ein elektrischer Impuls. Der durch die Zelle fließende Strom ist ungefähr eine Million Mal schwächer als unser Haushaltsstrom. Aber selbst diese schwache elektrische Aktivität können wir heute messen und uns damit ein Bild von der Hirnreifung machen.

Zwischen den Nervenzellen sitzen Schaltstellen – die Synapsen. Sie funktionieren wie Schalter, die auf bestimmte Signale hin einen Kontakt herstellen oder unterbrechen. Etwa 500 Billionen solcher „Schalter“ sorgen dafür, dass wir gezielt denken, uns erinnern und bewusst handeln können.

Im Laufe unserer Entwicklung bilden sich bei jedem neuen Eindruck und jedem Lernschritt immer mehr Verbindungskabel und Schaltstellen zwischen den Nervenzellen aus. Dabei spielen sowohl die Erbanlage als auch die Umwelt – und das Zusammenspiel zwischen beiden – eine große Rolle. Dieses Zusammenspiel wird an den beiden folgenden Beispielen deutlich:

Lena hat durch ihre Eltern, die beide Musiker sind, eine besondere musikalische Begabung vererbt bekommen. Deshalb wird Lena aber nicht automatisch Konzertpianistin. Sie muss in frühen Entwicklungsphasen ihre Fähigkeiten entdecken und möglichst mit Freude viel üben, um die in ihr schlummernden Talente weiterzuentwickeln.

Ihre Freundin Susanne hat seit jeher Spaß an der Musik, und sie versucht sich jedes Mal, wenn sie bei Lena ist, am Klavier. In Susannes Familie gibt es weder Berufs- noch Hobbymusiker. Dennoch kann auch Susanne – ohne ererbte Talente – mit Freude und Fleiß musikalische Grundkenntnisse erlangen und mit Spaß ein Instrument spielen lernen.

Schlummernde Talente – wie bei Lena – entfalten sich nur dann, wenn man sie nicht schlummern lässt, sondern weckt, fördert und weiterentwickelt. Aber auch Kinder wie Susanne können in Bereichen etwas erreichen, in denen sie kein Talent in die Wiege gelegt bekommen haben. Wenn sie entsprechende Impulse, Anregungen und Entwicklungsangebote bekommen.

Unser Gehirn, und damit unsere Fähigkeiten, entwickeln sich ständig weiter. Deshalb können wir täglich Neues lernen – und darum können unsere Kinder auch das Lernen lernen.

Unsere Sinne sind unsere Antennen

Wir entwickeln uns ständig weiter – aber wie? Welche Eindrücke, die Tag für Tag auf uns einstürmen, behalten wir und fügen sie in unsere bisher „erarbeitete“ innere Welt ein? Wie lernen wir Buchstaben zu erkennen, sie zu benennen und zunächst Wörter und dann einen vollständigen Satz zu lesen und zu schreiben?

Wenn Sie diesen Text lesen können, dann deshalb, weil sich bei Ihnen der „Leseprozess“ automatisiert hat. Sie müssen nicht mehr jeden einzelnen Buchstaben analysieren und mühsam mit den vorhergehenden zusammenfügen. Sie erkennen mit einem Blick ganze Wörter und ganze Sätze, verbinden diese mit den Bedeutungsinhalten aus Ihrem Gedächtnis und „lernen“ so neue Zusammenhänge kennen.

Wenn Sie aber den Inhalt dieser Sätze in mehreren Wochen noch wissen möchten, müssen Sie Interesse daran haben (Lernmotivation) und es in Ihrem Langzeitgedächtnis abspeichern (Merkfähigkeit).

So geht es jedem Kind mit dem Lernen von neuen Dingen. Um etwas Neues zu lernen, brauchen wir neue Informationen. Diese Informationen erreichen uns über unsere Sinnessysteme, die Wahrnehmungen bzw. Eindrücke möglich machen und unser Gehirn mit Angeboten versorgen.

Wir haben mehrere Sinnessysteme – „Antennenanlagen“, die auf verschiedenen Kanälen und Frequenzen empfangen:

  • Körper- und Bewegungssinn
    Er führt dem Gehirn Informationen von Haut, Muskeln und Gelenken zu, damit unsere Bewegung optimal gesteuert werden kann.
  • Gleichgewichtssinn
    Er vermittelt uns Informationen über unsere Stellung im Raum. Er registriert z. B., ob wir auf dem Boden stehen, Kopfstand machen oder gerade hin und her schaukeln.
  • Durch das Hören registrieren wir Laute, Klänge und Sprache, erkennen diese wieder und fügen sie – etwa zu einem Lied – zusammen. Diese Hörwahrnehmung ist besonders wichtig beim Erlernen von Sprache. Wir wissen, dass Kleinkinder Sprache zunächst relativ perfekt verstehen und Laute voneinander unterscheiden können, ehe sie selbst Wörter und Sätze sinnvoll produzieren können.
  • Durch das Sehen verarbeiten wir vom Auge aufgenommene Seheindrücke. Wir erkennen nicht nur Dinge wieder, sondern können uns auch Aneinanderreihungen von Zeichen, wie etwa unsere gebräuchlichen Buchstaben, merken. Dieses „fotografische Gedächtnis“ erleichtert uns das Lesen.
  • Die beiden Sinnessysteme Schmecken und Riechen vernachlässigen wir an dieser Stelle, da sie in unserer Kultur beim Lernen nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Die von den Sinnesorganen aufgenommenen Informationen werden über unsere Nervenbahnen dem Gehirn zugeleitet und miteinander in verschiedenen Hirnregionen verschaltet. Dieses System bildet die Grundlage für Kommunikation und damit auch für das Lernen.

Über unsere Sinnesorgane, wie Ohren, Augen und Haut, werden Eindrücke von außen aufgenommen und ins Gehirn geleitet. Hier werden sie gesammelt, sortiert und ausgewertet. Die verarbeiteten Informationen werden dann wieder durch Sprache, Gestik und Mimik nach außen abgegeben.

Wahrnehmen – Sortieren – Weiterleiten:  „Ordnung muss sein“

Damit unsere Sinnesorgane nicht alle Informationen gleichzeitig wahrnehmen, brauchen wir ein vorgeschaltetes Ordnungszentrum, das die verschiedenen Reizangebote filtert, bündelt und gewichtet. So versinken wir nicht im Chaos der „Datenschwemme“, sondern organisieren unsere Eindrücke und lagern sie in entsprechenden Schubladen ab.

Dieses sogenannte „gezielte Wahrnehmen einer äußeren Ordnung“ führt zu einer inneren Ordnung und damit zum Verstehen der Welt.

Das Wichtigste in Kürze

  • In unserem Gehirn werden Informationen wie in einer Schaltzentrale aufgenommen, sortiert und verarbeitet
  • Die wichtigste Voraussetzung für die Informationsverarbeitung im Gehirn ist eine gute Strukturierung und Ordnung. Beides kann man lernen.
  • Jeder Mensch lernt über unterschiedlich stark ausgeprägte Lernkanäle seiner Sinnesorgane. Welche Lernkanäle sich bei Ihrem Kind am besten ergänzen, können Sie leicht feststellen. So können Sie das Lernverhalten Ihres Kindes darauf abstimmen.
  • Die Lernmotivation ist wichtig, wenn wir Informationen lange behalten möchten. Nur, was wir gern lernen, lernen wir auch dauerhaft.

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Auch das Lernen kann man lernen
Was Sie tun können, damit Ihr Kind gut und gern lernt
Aust-Claus, Elisabeth, Hammer, Petra-Marina
Oberstebrink
ISBN: 9783934333529
19,95 €

Mehr dazu auf www.oberstebrink.de




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