Februar 2018

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Viele Familien sind ärmer als gedacht

Bertelsmann Studie offenbart erschreckendes Bild

Um die Einkommenssituation von verschiedenen Familientypen vergleichen zu können, wurden bisher die zusätzlichen Ausgaben für Kinder gemäß der OECD-Skala pauschal mit sogenannten Äquivalenzgewichten geschätzt. Bezugsgröße dabei sind die Ausgaben für einen alleinlebenden Erwachsenen. Ein zusätzliches Kind unter 14 Jahren erhält ein Gewicht von 0,3, eine zusätzliche Person über 14 Jahren von 0,5. Die jetzt vorliegenden Ergebnisse machen jedoch deutlich, dass starre Skalen nicht angemessen sind. In der Studie wurden deswegen einkommensabhängige Äquivalenzgewichte berechnet, die einen realistischeren Blick auf die Einkommenssituation von Familien ermöglichen. Sie zeigen, dass die Anwendung der OECD-Skala die Einkommen armer Haushalte systematisch über- und jene reicher Haushalte unterschätzt. Denn für ärmere Familien ist die finanzielle Belastung durch Kinder im Verhältnis größer als für wohlhabende Familien. Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, ist deshalb klar: „Wir können Armut nur erfolgreich bekämpfen, wenn wir sie realistisch betrachten können.“

Kinderlose sind im Durchschnitt besser gestellt als Familien

Die Untersuchung zeigt ebenfalls, dass von 1992 bis 2015 Paare mit Kindern oder Alleinerziehende im Durchschnitt finanziell stets schlechter gestellt waren als kinderlose Paare. „Mit jedem zusätzlichen Kind wird die finanzielle Lage von Familien schwieriger. Kinder sind leider ein Armutsrisiko in Deutschland“, so Dräger. Zudem ist die Einkommensschere zwischen wohlhabenden und armen Familien in diesem Zeitraum weiter aufgegangen. Seit den 90er Jahren ist es nur jenen Familien gelungen, ihre Einkommenssituation zu halten oder zu verbessern, die ihren Erwerbsumfang ausweiten konnten – in der Regel durch eine umfänglichere Erwerbstätigkeit von Frauen. Entscheidend hierfür war der Ausbau der Kindertagesbetreuung. Kindergelderhöhungen hingegen haben die Einkommenssituation von Familien mit Kindern nicht nachhaltig verbessert. Diese Ergebnisse bestätigen frühere Untersuchungen, allerdings sind die Effekte – gemessen mit der neuen Methode – stärker als bislang gedacht. Darüber hinaus ergeben sich im Detail relevante Unterschiede.

Familien stärker von Armut betroffen als gedacht

So zeigt sich, dass die Armutsrisikoquote von Paarfamilien nach der neuen Berechnung knapp drei Prozentpunkte über den bisher ermittelten Werten liegt: nach neuer Berechnung sind 13 Prozent der Paare mit einem Kind armutsgefährdet, 16 Prozent jener mit zwei und 18 Prozent solcher mit drei Kindern. Besonders drastisch ist die Situation für Alleinerziehende. Lag deren Armutsrisikoquote nach früheren Berechnungen bei 46 Prozent – und damit schon sehr hoch –, sind es auf Basis der neuen Methode 68 Prozent. Gerade bei Alleinerziehenden führt die Anwendung der starren, einkommensunabhängigen OECD-Skala dazu, dass die zusätzlichen Ausgaben für ein Kind im Haushalt deutlich unterschätzt werden. Während beispielsweise ein Haushalt mit zwei Erwachsenen mit einem Schlaf- und einem Wohnzimmer auskommen kann, brauchen Alleinerziehende zusätzlich ein Kinderzimmer. Zudem fallen bei niedrigeren Einkommen die kinderspezifischen Ausgaben (etwa für Windeln, Schulsachen, neue und passende Kleidung) besonders ins Gewicht. Gleichzeitig ist es für Alleinerziehende aufgrund der aufwändigeren Betreuung und Fürsorge für die Kinder besonders schwer, ihren Erwerbsumfang zu vergrößern. Vergleichbar ist die Situation für kinderreiche Familien. Dräger fasst zusammen: „Von Armut sind vor allem die Familien betroffen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgrund besonders großer Betreuungsverantwortung nicht steigern konnten.“

Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt der Familienpolitik stellen

Politisch sollte deshalb ein größeres Gewicht auf die Bekämpfung von Armut gelegt werden. „Vor allem Alleinerziehende brauchen stärkere Unterstützung“, so Dräger. Zudem gilt es, die staatliche Existenzsicherung für Kinder neu aufzustellen. Dabei, so Dräger, sollte sich der Staat konsequent an den Bedürfnissen von Kindern orientieren. „Mit einem Teilhabegeld als neue familienpolitische Maßnahme können wir das Kindergeld, die SGB II-Regelsätze für Kinder und Jugendliche, den Kinderzuschlag und den größten Teil des Bildungs- und Teilhabepakets bündeln.“ Dieses neue Instrument soll gezielt arme Kinder und Jugendliche erreichen und mit steigendem Einkommen der Eltern abgeschmolzen werden. Darüber hinaus brauchen Kinder und Eltern in ihrer Umgebung gute Bildungs- und Freizeitangebote sowie eine passgenaue, unbürokratische Unterstützung. Zudem sollten die neuen methodischen Erkenntnisse dieser Studie in der Armuts- und Sozialberichterstattung der Bundesregierung berücksichtigt werden, damit die bisherigen Verzerrungen aufgrund der OECD-Skala zukünftig nicht weiter auftreten. „Ansonsten“, so Dräger, „verlieren wir genau die aus dem Blick, die am meisten auf Unterstützung angewiesen sind.“ 

Zusatzinformationen

In der Studie von Prof. Notburga Ott, Prof. Martin Werding und ihren Mitarbeitern an der Ruhr-Universität Bochum wird die Einkommenssituation von verschiedenen Familientypen seit Anfang der 90er Jahre differenziert nachgezeichnet und verglichen. Dazu werden in einem ersten Schritt sogenannte Äquivalenzskalen empirisch ermittelt, die man heranzieht, um Einkommen von Haushalten verschiedener Größe miteinander vergleichen zu können. Grundlage ist dabei die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes, die Daten zu den Ausgaben der betrachteten Haushaltstypen liefert. Im Unterschied zu bisher vorliegenden Untersuchungen für Deutschland wird dabei berücksichtigt, dass angemessene Äquivalenzskalen von der Wohlstandsposition der Haushalte abhängen können. In einem zweiten Schritt werden die neu ermittelten Äquivalenzskalen herangezogen, um die Einkommenssituation von Familienhaushalten zu untersuchen. Datengrundlage sind dafür die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), die in Deutschland regelmäßig für Analysen der Einkommensverteilung herangezogen werden. Dieses Vorgehen ermöglicht es, die Effekte der neu ermittelten Äquivalenzskalen im Vergleich zu bisher üblichen Methoden der Äquivalenzgewichtung aufzuzeigen.

Weitere Informationen

Quelle: Pressemitteilung Stiftung Bertelsmann

Foto: fotolia.de/katyspichal

 


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Die ganze Welt der Bildung

didacta Bildungsmesse vom 20. bis 24. Februar in Hannover

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Lernstörungen: Forschungsergebnisse für die Praxis aufbereitet

Wissenschaftlich erprobte Diagnose- und Förderinstrumente

Die neue Broschüre des Bildungsministeriums zum Thema „Lernstörungen“ steht zum kostenlosen Download bereit. Sie informiert über die Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung von Lese-, Rechtschreib- und Rechenstörungen.

Die Broschüre ist im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung entstanden. Sie stellt die unterschiedlichen Projekte und die dabei entwickelten Programme rund um Lese-, Rechtschreib- und Rechenstörungen vor. Sie informiert zudem über die wissenschaftliche Herleitung der Diagnose- und Förderinstrumente, ihre Einsatzgebiete und ihre Eignung für bestimmte Lerngruppen und Lernumgebungen.

Zugleich verweist die Publikation auf weiteren Forschungsbedarf und gibt Einblick in relevante, im Rahmen des Forschungsschwerpunkts erarbeitete Grundlagenerkenntnisse: etwa zur Häufigkeit des Auftretens von Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten sowie zur Unterscheidung von Lernschwächen und Lernstörungen beziehungsweise der einzelnen Entwicklungsstörungen. Die Autoren haben sich bemüht komplexe wissenschaftliche Ergebnisse verständlich zu formulieren. Trotzdem sind immer noch viele Fachbegriffe enthalten.

Ausführliche Informationen zum Forschungsschwerpunkt:
www.esf-koordinierung.de

Siehe dazu auch den Artikel auf kinderzeit.de von Petra Küspert: Legasthenie: Hilfen, Strategien und Folgen

Quelle: Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung
Foto: Woodapple, fotolia.com