Ängste und Fremdheit überwinden

Auch kleine Leute haben's schwer

Auf Schritt und Tritt begegnet uns heute ein Phänomen, das wir längst überwunden glaubten: der Fremdenhass. In den neuen wie alten Bundesländern überrollt uns eine Welle von Hass, Wut und Gewalt. Was können wir Pädagogen dagegen tun? Sind wir nicht gefordert, uns einzumischen? Wir, die wir ein ganz anderes Menschenbild als Ziel haben? ... Es ist wünschenswert, dass wir mit dem Ansprechen von und dem Umgang mit Toleranz, mit Ängsten, mit Fremdheit noch früher beginnen. Aber ist das möglich bei drei- bis siebenjährigen Menschlein? ...

Angst vor Fremden

Trifft ein Kind auf eine ihm völlig fremde Situation, braucht es selbst mit vier Jahren noch die schützende Nähe der Mutter oder des Vaters, an die es sich notfalls klammern kann, während es die fremde Situation, die fremden Menschen abschätzt. So gesichert, kann es sich bald vorwagen und die „neue Welt“ erobern, nicht ohne alle halbe Stunde (oder eher) wieder zu erscheinen, um sicherzugehen, dass die Eltern noch da sind.

Kommen fremde Menschen zu Besuch, reagieren die meisten mit Neugierde, weil sie ja „Heimvorteil“ haben. Manche brauchen auch hier die Nähe einer wichtigen Bezugsperson. Es braucht aber nicht unbedingt eine Person zu sein, die ihnen die nötige Sicherheit vermittelt. Manchmal genügt ein sicheres Versteck zwischen Schrank und Stuhl, aus dem heraus die Fremden beobachtet werde, bis sie bereit sind, mit dem Besuch, Kontakt aufzunehmen ...

Reaktionen 

Die Reaktionsweisen auf angstmachende Situationen sind bei jedem Kind unterschiedlich. Emotional labile Kinder lassen sich schneller von ihrer Angst beherrschen. Ein Kind, das „analytisch“ denken kann, versucht eher, eine angstmachende Situation zu verstehen, und wird nicht so schnell von seinen Gefühlen überrollt. Der ausgeprägtere Realitätssinn hilft ihm, Missverständnisse, aus denen angstmachende Gefühle entstehen können, zu begreifen.

Typfragen  

Kinder mit lebendiger Fantasie schaffen sich in ihrer Einbildung leicht ein angsteinjagendes Ungeheuer. Solche „eingebildeten“ Ängste beunruhigen es mehr als Kinder mit ausgeprägtem Realitätssinn. Je besser das Kind in der Lage ist, sein Gefühlsleben zu begreifen, desto leichter fällt es ihm, seine Angst zu mindern. Je mehr Selbstvertrauen ein Kind hat, desto sicherer wird es im Umgang mit der Angst. Es lernt aus den gemachten Erfahrungen, die es im Umgang mit seiner berechtigten Angst macht: Lass ich mich von der Angst beherrschen, werde ich ihr auch in der nächsten Situation erliegen. Schaue ich der Angst „mutig ins Auge“, ist sie vielleicht überwindbar ...

Wie anfangs gesagt, wächst das Kind aus einigen Ängsten heraus, so wie ein Spielzeug nur für eine bestimmte Periode interessant ist, und es kann sich später nur wundern über seine früheren Ängste. Das Gute daran ist, dass ihm die gemachten Erfahrungen genug Stärke und Selbstvertrauen vermitteln, um neuen Ängsten ins Auge zu sehen. Wichtig ist, dass das Kind Verständnis spürt, wenn es seine Ängste äußert, mögen sie für den Erwachsenen noch so unwichtig oder unbegründet sein. In kleinen Schritten geht das Kind voran, die Angst zu bewältigen, und manchmal braucht es ein „Fingerchen“, an dem es sich festhalten kann. Reichen wir es ihm ...

Kinder im Kindergarten

Kinder müssen sich im Kindergarten – nachdem sie nun häufiger und regelmäßiger mit anderen Kindern in Kontakt kommen – auch intensiver mit eigenen Wünschen und Konflikten auseinandersetzen. Vermehrt werden sie auf Eigenarten anderer aufmerksam und müssen sich diesen guten, schlechten und auch widersprüchlichen Erfahrungen und dem damit verbundenen Verhalten stellen. Der Umgang mit Gleichaltrigen ist sowohl wichtig für die eigene Sozialisation wie auch für die Entwicklung der sozialen Kompetenz. Kinder werden in einer Kindergesellschaft zu Kulturträgern.

Rollenspiele

Bestimmte Merkmale einer Kultur werden in Rollenspielen und Gesprächen weitergegeben, ohne dass sich Erwachsene einmischen. Wobei nicht nur Kulturen aus anderen Ländern, sondern auch unterschiedliche Kulturen aus dem eigenen Land im Spiel mehr oder weniger fremd erlebt werden können.

Ausländische Kinder werden häufig mit mehreren unterschiedlichen Kulturen konfrontiert. Der erste Konflikt beginnt mit den Vokabeln „Gastland“ und „Heimatland“. Für viele Kinder ausländischer Mitbürger ist unser Land häufig schon längst zum „Heimatland“ geworden. In der jeweiligen Familie wird dies aber möglicherweise ganz anders gesehen. Die gesellschaftlichen Spannungen beginnen häufig schon im Kindergarten, wenn ausländische Eltern wegen zu geringer Deutschkenntnisse oder abweichender Ansichten nicht in Elternaktivitäten miteinbezogen werden – oder nicht miteinbezogen werden wollen. Dies setzt sich in der Kindergruppe fort, Von „den fass ich nicht an, der ist schmutzig!“ bis hin zu existenzieller Angst vor einem Kind, das eine andere Sprache spricht und der sich darin ausdrückenden Fremdheit, sind alle Reaktionen auf Erscheinung und Verhaltensweisen ausländischer Kinder denkbar.

Thema (sollte) es sein, den Eltern, vor allem aber den Kindern Möglichkeiten zu schaffen, die jeweils andere Kultur kennenzulernen, die eigenen Schwellenängste abzubauen und aufeinander zuzugehen. 

Vorurteile abbauen

Vorurteile entstehen häufig durch mangelnde Informationen, durch auftretende Unsicherheiten und Pauschalisierungen. Vorurteile abbauen heißt auch, die eigene Unsicherheit abzubauen und den anderen Menschen als Menschen mit einer eigenen Persönlichkeit, eigenen Wünschen, Ideen und Erfahrungen zu akzeptieren und nicht als „andersartig“ abzustempeln.

Die Intention muss daher sein, den Kindern – einheimischen wie ausländischen – zu helfen, die eigenen Ängste vor dem Fremden, Andersartigen zu bewältigen und mithilfe eines eigenen starken Selbstwertgefühls offen auf andere Kinder zuzugehen, den Umgang miteinander zu proben und damit Spannungen abzubauen.

Dass das „Erfahren“ des Kindes, das sich mit einem anderen Kind oder einer anderen Kultur auseinandersetzt, sich nicht nur verbal abspielt ..., sollte einleuchten. Doch wie macht das Kind seine eigenen Erfahrungen, wie geht das vor sich, wenn aus Begreifen Verstehen wird?

Hajo Bücken

(Textauszug aus: Hajo Bücken, Auch kleine Leute haben’s schwer – Ängste und Fremdheit überwinden, Burckhardthaus 2014, ISBN/EAN: 9783944548128, 9,90 €.) Mehr dazu finden Sie hier.

Foto: © Jasmin Merdan www.fotolia.com

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