Jungs lieben Autos – Mädchen lieber Puppen? So ein Quatsch!

Das kennen wir doch: Jungs lieben Autos – Mädchen lieber Puppen. Dieses Phänomen ist in den meisten Kinderzimmern zu beobachten. Jungs haben eine große Autokiste mit Modellen aller Art. Daneben steht die Feuerwehrstation mit diversen Rettungsfahrzeugen. Die klassischen Puppen sitzen dann in den Zimmern der Mädchen und in deren liebvoll eingerichteten rosa Puppenstuben. Ist das wirklich nur ein Klischee oder steckt doch mehr dahinter?

Wissenschaftliche Erläuterungen dazu gibt nachfolgend Dr. Matthias Burchardt, Akademischer Rat an der Universität Köln am Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologie und Bildung über die Lebensspanne. Er ist Vater von vier Kindern und engagiert sich in der frühkindlichen Bildung.

Ein Experiment
Das britisch-amerikanische Psychologenduo Melissa Hines und Gerianne Alexander hat Grünen Meerkatzen – einer afrikanischen Affenart – menschliches Spielzeug vorgelegt. Das verblüffende Ergebnis: Die männlichen Tiere griffen zu Bällen und Autos, die weiblichen zu Kochtöpfen und Puppen. Für „neutrale“ Spielsachen, wie Bilderbücher oder Stofftiere, interessierten sich beide Geschlechter gleichermaßen. 
Diese biologische Untersuchung hält Dr. Matthias Burchardt nur bedingt für aussagekräftig, weil Affen gesellschaftliche Faktoren und einen freien Willen nicht kennen.

Drei entscheidende Faktoren bei der Spielzeugauswahl
Dass mit dem Geschlecht eines Kindes eine ganz bestimmte Spielzeugvorliebe verbunden ist, sollte laut Dr. Matthias Burchardt nicht als generelle Aussage betrachtet werden. Es lassen sich allerdings in die jeweilige Richtung Tendenzen beobachten. Jungs interessieren sich eher für technisches Gerät, während die Mädchen ihre Puppe füttern. Dafür verantwortlich sind drei ganz unterschiedliche Faktoren, die jedoch untrennbar miteinander verbunden sind. Da ist zum einen die biologische Komponente. Das bedeutet, die genetischen Anlagen beeinflussen die Spielzeugauswahl des jeweiligen Geschlechts. Das soziale Umfeld hat einen ebenso entscheidenden Einfluss. Unsere Gesellschaft hat bestimmte Rollenmodelle, die den Kleinen schon im Kinderzimmer durch das angebotene Spielzeug nahe gelegt werden. Nicht zuletzt hängt es auch von den persönlichen Vorlieben des Kindes ab, für welches Spielzeug es sich entscheidet.

Faszination Auto
Das Auto ist formschön und für viele Kinder ein Symbol für Abenteuer, denn auf vier Rädern ist man mobil und kann wegfahren. Die Geschwindigkeit des Autos wird bei Kindern als Kraftzuwachs empfunden. Wichtig ist auch die Bedeutung des Autos als Nutzfahrzeug. Feuerwehrautos dienen dazu, Menschen zu retten. Müllautos räumen den Dreck weg und machen sauber. Das sind für Kinder positive Identifikationen, die ihnen als sinnvolle Betätigung in ihrem Leben erscheinen. Das Kind sucht seinen Platz in der Gesellschaft und probiert im Spiel verschiedene Selbstverwirklichungsformen aus. Mit dem Auto in den unterschiedlichen Gebrauchsformen werden Rollen wie Kostüme angeboten, in die das Kind schlüpfen kann. Dabei erfahren sie Macht, Einfluss und haben die Möglichkeit, sich selber als die Guten darzustellen. 

Autos stehen für Technik - Puppen für soziale Zusammenhänge?
Man unterstellt, dass mit der Auswahl des Spielzeugs eine bestimmte Verhaltensweise zwangsläufig gegeben ist. So steht die Puppe für die Identifikation auf der sozialen Ebene und das Auto für die Faszination im Rahmen von Technik. Aber die Spielmöglichkeiten sind damit noch nicht festgelegt. Es gibt Kinder, die spielen mit Autos soziale Ereignisse nach. Mit einer Puppe kann man auch kämpfen anstatt Familie zu spielen. Das Spielzeug selber legt nicht eine bestimmte Betrachtungsweise fest. Das Spiel entscheidet darüber, was aus dem Spielzeug wird.

Einfluss der Eltern bei der Spielzeugauswahl
Natürlich treffen Eltern eine bestimmte Auswahl, denn sie wollen, dass ihre Kinder nur mit Dingen in Kontakt kommen, die für den Nachwuchs förderlich sind. Gleichwohl muss diese Auswahl so verantwortlich getroffen werden, dass dem Kind nicht nur ein einziges Konzept zur Identifikation angeboten wird. Das Kind darf sozusagen in die Anprobe um festzustellen, welches Lebensmodell am besten zu ihm passt. Trotzdem sollten Eltern sich darüber im Klaren sein, dass es durchaus gesellschaftliche Sanktionen geben kann. Wenn ein Junge mit einer Puppe in den Kindergarten geht, dann kann es schon mal passieren, dass er sich von den anderen Kindern hämische Kommentare anhören muss. Insofern ist die Entscheidung der Eltern bei der Spielzeugauswahl auch vom sozialen Umfeld abhängig, von einer Gesellschaft, die darauf drängt, dass die klassischen Rollenmodelle eingehalten werden. Es wird überwacht, wenn jemand von der Norm abweicht. Auch wenn Eltern sich dem entgegenstellen möchten, macht es keinen Sinn die Veränderung der politischen Verhältnisse auf dem Rücken der Kinder auszutragen. Kinder sind erstmal Konformisten, sie wollen dazugehören.

Fazit
Eltern sollten offen sein für die Individualität des Kindes. Dazu gehört die Akzeptanz für Stereotypabweichungen, genauso wie für Stereotyperfüllungen. Im frühkindlichen Alter ist der soziale Druck noch nicht so groß. In dieser Zeit können Eltern dann auch mal etwas anderes Angebote machen, die nicht den gängigen Rollenmodellen entsprechen.

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