Über Märchen: Es war einmal....

Es heißt nicht ohne Grund, dass in den Märchen die Seele eines Volkes steckt. Legenden, Fabeln, Sagen, Schwänke, Lügen- oder Tiergeschichten: Märchen sind so vielgestaltig wie sie alt sind. Sie sind der überlieferte Schatz einer jeden Kultur. Erst durch die weltberühmte Sammlung der Brüder Grimm wurde die Bezeichnung Märchen für mündlich erzählte Geschichten populär und auch in andere Sprachen übernommen.

Märchenpersonal und Handlung
Sprechende Tiere und Pflanzen, Zwerge, Riesen, Hexen, Feen, Drachen und andere Fabelwesen gehören zum selbstverständlichen "Personal" von Märchen. Typisch für die Figuren ist, dass sie scharf kontrastiert sind: schön oder hässlich, gut oder böse, tapfer oder feige, schlau oder dümmlich. Ohne Verbindung zur Zeit verstehen sie es, zwischen Wirklichkeit und Zauberwelt zu wechseln.

Symbolische Zahlen, zum Beispiel die sieben (sieben Raben, Geißlein, Zwerge) oder die drei (drei Wünsche frei), und besondere Farben wie Gold prägen die Märchen. Märchen erzählen zumeist von der glücklichen Lösung eines Konfliktes. Ein Protagonist erlebt allerlei Abenteuer, Schicksalsschläge oder Läuterungen, um danach gestärkt daraus hervor zu gehen.

Es war einmal... Wurzeln des Märchens
In den schriftlichen Zeugnissen aller frühen Hochkulturen finden sich märchenhafte Züge. Das alte Ägypten war reich an Zauber- und Tiergeschichten. Das sumerische Gilgamesch-Epos, das vermutlich im 12. Jahrhundert vor Christus in Mesopotamien entstand und als älteste literarische Dichtung der Welt gilt, weist in vielen Passagen märchenhafte Formen auf. Die Epen des griechischen Dichters Homer und andere Sagen zeugen vom großen Reichtum an Märchen der alten Griechen. Indien wird eine vermittelnde Rolle zwischen den sehr alten Erzähltraditionen des Fernen Ostens und des Vorderen Orients zugeschrieben. Für die europäische Märchentradition waren die Beziehungen zum Orient, die über Byzanz und Nordafrika verliefen, von größter Bedeutung. Kreuzfahrer und Kaufleute, Pilger und Seefahrer brachten Stoff für Märchen mit nach Europa. Dort sorgten vor allem Spielleute für deren Verbreitung.

Märchen in Europa
Schon im 16. und 17. Jahrhundert schufen die Italiener Giovanni Straparola und Giovanni Battista Basile ganze Märchenzyklen. Die so genannten Feenmärchen waren im Frankreich des 17. Jahrhunderts sehr beliebt als Unterhaltung für den Adel. Ab 1704 erschloss die Übersetzung der "Geschichten aus 1001 Nacht" von Antoine Galland neue Märchenwelten. Bereits 1697 hatte Charles Perrault eine französische Märchensammlung vorgelegt, die im 18. Jahrhundert auch in Deutschland aufgenommen wurde. "Dornröschen", "Rotkäppchen" und "Der gestiefelte Kater" gehen nachweislich auf seine Sammlung zurück.

Die Brüder Grimm
Die deutschen Romantiker und die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm erfassten den Reiz des mündlich überlieferten Erzählgutes. Sie erkannten darin die schöpferischen Kräfte eines Volkes - einen Kulturschatz, den es zu bewahren galt. Trotzdem rechneten die Brüder Grimm nicht mit einem wirtschaftlichen Erfolg, als sie die "Kinder- und Hausmärchen" 1812 und 1815 veröffentlichten. Für ihre Märchensammlung hatten sich die Brüder Märchen erzählen lassen und sie Wort für Wort festgehalten. Die Brüder Grimm weckten durch ihre Sammlung nicht nur das allgemeine Interesse an Märchen, sondern initiierten auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihnen. Neben der Märchensammlung wurde das "Grimmsche Deutsche Wörterbuch" das Lebenswerk der beiden Germanisten.

Die Psychoanalyse
Auch die Psychoanalyse, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand, interessierte sich für Märchen. Bedeutsam wurden die tiefenpsychologische Untersuchungen des österreichischen Nervenarztes Sigmund Freud zum Verhältnis von Märchen, Traum und Sexualtrieb.
Der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung und seine Schüler zogen aus Märchen und Mythen Erkenntnisse über die seelischen Grundkonzeptionen der Menschen einer Kultur.
In jüngster Zeit arbeiten vor allem Kindertherapeuten mit Märchen. Sie bearbeiten anhand der zauberhaften Figuren und Konstellationen verdrängte Erlebnisse und Traumata der Kinder.

Und wenn sie nicht gestorben sind... Märchen heute
Heute stellen Märchen ein Angebot unter vielen im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur dar. Insofern ist ihre einstmals dominante Stellung gebrochen. Neue Märchen für Kinder werden zwar in großem Umfang geschrieben und verlegt, nach wissenschaftlichen Untersuchungen des bekannten amerikanischen Kinderpsycholgen Bruno Bettelheim mögen Kinder jedoch die alten Märchen viel lieber. Zumindest in Mitteleuropa gehören die Märchen der Brüder Grimm, Hans Christian Andersens, Wilhelm Hauffs und Ludwig Bechsteins immer noch zum Grundstein der Kinderliteratur.

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