Umgang mit Trennungskindern

In nahezu jeder Kindergartengruppe gibt es Kinder, deren Eltern sich scheiden lassen, Kinder, die mit einem geschiedenen Elternteil leben oder einen Stiefelternteil haben. Den zweiten leiblichen Elternteil sehen sie regelmäßig, nur wenige Male im Monat, ab und zu oder gar nicht mehr. Erzieher im Kindergarten werden immer wieder mit Kindern konfrontiert, die in Teil- oder Stieffamilien leben. So ist es unabdingbar, als Erzieher über die besondere Lebenssituation und die speziellen Probleme dieser Kinder und ihrer Eltern informiert zu sein.

Woran erkennen wir, daß ein Kindergartenkind von der Scheidung seiner Eltern betroffen ist? Welche Signale setzt es? Welche seine Eltern?

Signale des Kindes können sein:

Es kann sich in der Bringsituation sehr schlecht vom Elternteil trennen, hat Angst, daß er abends nicht wiederkommt.
Das Kind will abends nicht mehr nach Hause.
Das Kind verhält sich sonderbar, wenn ein anderes Kind von beiden Elternteilen gebracht oder abgeholt wird.
Das Kind erzählt beim Montagskreis nicht mehr vom Wochenende oder erwähnt nur noch einen Elternteil, erzählt Phantasiegeschichten.
Wenn von einer intakten Familie erzählt wird, schaltet das Kind ab oder reagiert auffällig.
Wenn beim Puppenspiel Trennungssituationen dargestellt werden, verhält sich das Kind dabei abwehrend, stört, hält sich die Ohren zu u.ä.
Das Kind sucht besonders viel emotionale Zuwendung und Körperkontakt; es will mit der Erzieherin allein sein.
usw.

Signale der Eltern:

Ein Elternteil geht der Erzieherin aus dem Weg, hat keine Zeit für Gespräche, kommt und geht schnell wieder, besucht nicht mehr den Elternabend.
Nur noch ein Elternteil holt bzw. bringt das Kind in den Kindergarten.
Ein Elternteil holt das Kind spät ab, hält sich lange im Kindergarten auf, möchte angesprochen werden.
Ein Elternteil bittet um Hilfe im Umgang mit dem plötzlich so schwierigen Kind.
Ein Elternteil will sich mit der Erzieherin über das veränderte Verhalten des Kindes unterhalten.
In die Familie werden keine Kinder mehr nach Hause eingeladen, das Kind darf andere Kinder nicht mehr besuchen.
Ein Elternteil wirkt verstört, gestreßt,
usw.

 Notwendige Informationen für die Erzieherinnen

Trennung und Scheidung müssen als dynamischer und komplexer Prozeß von Veränderungen verstanden werden. Meist dauert er mehrere Jahre und ist mit einer Vielzahl von Belastungen für Kinder und Erwachsene verbunden. Er umfaßt die
Vorscheidungsphase
Scheidungsphase
Nachscheidungsphase
evtl. Phase der Gründung einer Stieffamilie.

Kinder und Erwachsene reagieren in diesen Zeitabschnitten höchst unterschiedlich. So kann in den folgenden Ausführungen nur verallgemeinert werden; die Einzigartigkeit des individuellen Kindes und seiner Familie muß in der Praxis berücksichtigt werden. 

Kleine Kinder können die Bedeutung und Ursachen der Trennung ihrer Eltern und die damit verbundenen Veränderungen nicht oder nur ansatzweise verstehen. Viele Kinder sind nach der Trennung ihrer Eltern aggressiv und zerstörerisch, während andere mit Rückzug, Depressivität, Verlust an Interessen und Apathie reagieren. Sie entwickeln leicht Schuldgefühle, weil sie sich - grundlos - für die Trennung ihrer Eltern verantwortlich halten. Unter starken Loyalitätskonflikten leidend, fühlen sie sich zwischen den Eltern hin- und hergerissen. Sie reagieren mit Symptomen wie Einnässen, Einkoten, Regression, Schlafstörungen, Trennungsangst usw. Jungen und Einzelkinder leiden unter der Scheidung ihrer Eltern zumeist mehr als Mädchen und Kinder mit Geschwistern.

Impulse für die praktische Arbeit mit Scheidungskindern und ihren Familien

Wenn den Erziehern im Kindergarten die Situation des Kindes und seiner Familie bekannt ist, müssen Überlegungen für mögliche Hilfsmaßnahmen getroffen werden. Bevor die Erzieherin jedoch auf die Eltern oder den Elternteil zugeht, muß sie sich selbst mit der Problematik des Kindes im Scheidungszyklus befaßt und Informationen über Beratungsstellen, ganztägige Betreuungsmöglichkeiten, Hilfen verschiedenster Art u.ä. eingeholt haben. Weiterhin muß dem Gespräch eine gründliche Beobachtung des Kindes und seiner Verhaltensänderungen vorausgehen. Es bietet sich an, wenn in der Teamsitzung des Kindergartens grundsätzlich über Hilfsmaßnahmen und weitere Vorgehensweisen diskutiert wird. Vielleicht gibt ein Rollenspiel dem einzelnen Erzieher auch Sicherheit für das Gespräch mit den Betroffenen.

Für die Arbeit mit den Eltern bieten sich folgende Möglichkeiten an:

Den Elternteil zum Kaffee/Gespräch einladen und ihm verdeutlichen, was im Kind abläuft. Dabei sollte auch über das Verhalten der Eltern gesprochen werden.
Den Eltern erklären, wie sie ihr Kind am besten über Trennung, deren Folgen und die Zukunft der Familie informieren können, daß sie die Symptome des Kindes verstehen müssen und wie sie auf auffällige Reaktionen eingehen sollten. Verhaltensauffälligkeiten können als Botschaften des Kindes interpretiert werden, als Sprache oder als Signal des Kindes.
Mit dem Elternteil erarbeiten, daß Grenzen gezogen werden müssen. Kinder sollten verstehen, daß Trennung Sache der Erwachsenen ist. Diese müssen das dem Kind deutlich machen, es als nicht verantwortlich erklären und ihm dadurch Schuldgefühle nehmen. Das Kind muß aus Konflikten herausgehalten werden, darf nicht sehen, wie die Eltern einander wehtun, und muß beide Elternteile weiterhin lieben können und dürfen.
Eltern anhalten, ehrliche Gefühlsäußerungen zuzulassen und dem Kind Zeit zum Verarbeiten von Emotionen zu geben. Eltern sollen dem Kind helfen, im Gespräch, im Spiel oder in Zeichnungen Gefühle auszudrücken. Sie müssen Sympathie und Gespür für Bedürfnisse der Kinder entwickeln.
Eltern empfehlen, den Tageslauf des Kindes möglichst wenig zu verändern. Dadurch bekommt das Kind das Gefühl der Sicherheit, Geborgenheit und Kontinuität.
Eltern anhalten, sich für das Kind, für gemeinsame Aktivitäten und Spiele Zeit zu nehmen. Sie sollten dem Kind zeigen, daß sie es als wertvoll erachten und lieben. Auch sollten sie Zuneigung durch häufigen Körperkontakt verdeutlichen.
Eltern sollten klare Ziele, Erwartungen und Regeln formulieren.
Eltern die Angst nehmen, daß das Kind generell durch die Scheidung geschädigt werden könnte.
Die Bedeutung des abwesenden Elternteils, zumeist des Vaters, für die Entwicklung und das Gefühlsleben des Kindes aufzeigen. Dem verbleibenden Elternteil muß klar werden, daß das Kind Beziehungen zum Expartner und zu dessen Verwandten aufrechterhalten muß, daß er keine Parteinahme verlangen darf. Über den Expartner sollte positiv gesprochen werden. Falls mit dem abwesenden Elternteil Kontakt besteht, sollte dieser aufgefordert werden, immer wieder gegenüber dem Kind zu betonen, daß er mit ihm in Verbindung bleiben wird und will.
Bei Bedarf den Eltern einen Ganztagsplatz im Kindergarten anbieten. Vielleicht läßt sich auch eine gemeinsame Betreuung von Kindern durch Eltern organisieren.
Eventuell Eltern an eine Scheidungs- oder Familienberatungsstelle verweisen.

Auch Alleinerziehende benötigen in vielen Fällen die Hilfe der Erzieher:

Sie haben einen erhöhten Beratungsbedarf, da kein Partner da ist. Sie tun sich mit der Gesprächsaufnahme schwerer, da sie eher glauben, daß nur sie mit dem jeweiligen Problem nicht fertig werden.
Sie können oft nicht zum Elternabend kommen und brauchen daher spezielle Termine.
Besondere Veranstaltungen, Elternabende und Freizeitaktivitäten für Alleinerziehende werden manchmal notwendig. Sie können auch am Wochenende stattfinden.
Der Kindergarten sollte Kontakt mit anderen Alleinerziehenden vermitteln, gemeinsame Kinderbetreuung organisieren, Austausch von Tips ermöglichen und Hinweise auf Selbsthilfegruppen und Angebote von Verbänden am Schwarzen Brett aushängen.

Dem Scheidungskind kann geholfen werden, wenn seine Entwicklung in folgende Richtung gelenkt wird:

Das Kind muß die Realität der elterlichen Trennung anerkennen.
Das Kind soll sich aus Konflikten, Problemen, Gefühlen usw. seinem Eltern herauslösen und sich wieder auf altersgemäße Aktivitäten konzentrieren.
Das Kind muß Verlusterfahrungen verarbeiten.
Das Kind soll mit Wut, Arger, Selbstbeschuldigung und Schuldgefühlen fertig werden.
Das Kind muß die Endgültigkeit der Scheidung akzeptieren lernen.
Das Kind sollte realistische Hoffnungen bezüglich dem Qualität zukünftiger eigener Beziehungen entwickeln.

Bei der Arbeit mit dem Kind haben sich folgende Grundsätze bewährt:

In der Trennungskrise darf nicht interveniert werden. Das Kind braucht vom allem viel emotionale Zuwendung und Körpernähe. Nur so behält es das Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit.
Die Erzieherin muß besonders auf zurückgezogene und stille Kinder zugehen.
Der Erzieher muß den Kindern zuhören, auf Gefühle und Ängste sowie Probleme eingehen und Verständnis zeigen. Viele Kinder müssen beruhigt und getröstet werden.
Einfache, konkrete und kurze, aber informative Erklärungen sind für das Kind wichtig.
Den Kindern müssen Schuldgefühle genommen werden. Dies ist vor allem dann notwendig, wenn Kinder sich schon vor der Trennung ihrer Eltern als schwierig erlebt haben.
Scheidungskinder brauchen Sondersituationen.
Geschenke für den abwesenden Elternteil können im Kindergarten gebastelt werden (und auch von dort aus zugeleitet werden, wenn dies dem sorgeberechtigten Elternteil Probleme macht).
Dem Kind kann die eigene Geschichte, aber mit einer anderen Hauptperson erzählt werden. Am Handeln dieser Person können ihm neue Verhaltensalternativen und Lebensentwürfe indirekt vermittelt werden.

Nach der Trennungskrise kann auch die Arbeit mit Bilderbüchern einsetzen.
Bei vielen Kindern alleinerziehender Elternteile ist gegengeschlechtliche Betreuung notwendig (Rollenmodell). So ist es wichtig, auch männliche Praktikanten für den Kindergarten zu gewinnen.

Quelle: www.kindergartenpaedagogik.de

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